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Mirad 03 - Das Wasser von Silmao

Titel: Mirad 03 - Das Wasser von Silmao Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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und Kindern opfert, wird das Volk seine Meinung schnell ändern.«
    »Das reicht!«, zischte Ergil. Seine Rechte legte sich langsam aufs Gefieder eines Pfeils.
    Tusan versuchte ein letztes Mal, die Situation friedlich zu klären. »Benutzt Euren Verstand, Soldat. Jeder im Herzland weiß, dass Godebars Regierungsübernahme ungleich blutiger war, als es die Eroberung dieses Harems je sein könnte. Das Volk hat nur darauf gewartet, dass sich einer wie Tantabor gegen diesen Tyrannen erhebt. Fragt Ysga, ob er lieber heute in einem sinnlosen Kampf sterben oder in einem besseren Ostrich eine ehrenvolle Aufgabe wahrnehmen will.«
    Ehe der Posten etwas sagen konnte, zerbrach im obersten Stockwerk des Turms ein buntes Glasfenster und ein bärtiges Gesicht erschien, das Ergil sofort erkannte.
    Ysga schrie: »Was wollt Ihr hier, König von Soodland? Hört endlich auf, meinen Soldaten mit Eurer Doppelzüngigkeit den Verstand zu verdrehen. Ich lasse mir von Euch kein zweites Mal den Ruhm stehlen. Fort mit Euch, sonst…«
    Der Kommandant verstummte, weil veränderte Umstände den Rest seiner Drohung plötzlich hinfällig machten. Ergil hatte blitzschnell einen Pfeil aus dem Köcher gezogen, auf die Bogensehne gelegt, gespannt und geschossen. Alle, die seine Aktion beobachteten, nahmen Folgendes wahr:
    Der Pfeil zischte auf die mittlere Frau am Tor zu. Sie stieß einen schrillen Schrei aus. Es herrschte Uneinigkeit darüber, ob sie schon gekreischt hatte, bevor das Geschoss ihren Leib durchlöcherte oder erst danach. Jedenfalls bohrte sich die eiserne Spitze hiernach in den Gardisten, durchschlug dessen Schulterblatt und flog anschließend noch ein Stückchen weiter. Der Mann stimmte in das Geschrei der Frau mit ein, ließ seine Lanze fallen und sackte auf die Knie.
    Damit hatte Ergil die erste Säule seiner Eroberungsstrategie errichtet: die Überraschung.
    Im verbotenen Bezirk wurde dieser Schuss nämlich als ein unmissverständliches Signal verstanden, das eigentlich nur eine, völlig unerwartete, Deutung zuließ: Unsere lebendigen Schutzschilde sind wertlos geworden, denn die Rebellen werden die Frauen nicht schonen; sie wollen uns alle umbringen; rette sich, wer kann.
    Dass die vermeintlich durchbohrte Gespielin des Königs am Tor immer noch aus Leibeskräften schrie und gar nicht blutete, fiel niemandem auf. Für eine solche Beobachtung hätte es ohnehin nur wenig Gelegenheit gegeben, denn nun zog Ergil Säule Nummer zwei hoch: die Verwirrung.
    Unvermittelt legte sich ein dichter Schleier über das Dari Saadet: Nebel. Es war derselbe Nebel, der ein halbes Jahr zuvor schon einmal den Palast eingehüllt hatte, aber weil niemand sich die Mühe macht, Nebel wirklich gründlich anzuschauen, fiel das keinem auf. Ergil saugte, um bildlich zu sprechen, die dicke Brühe aus der Vergangenheit ins Hier und Jetzt. Die Verteidiger im Frauenturm sahen mit einem Mal nichts mehr; von freiem Schussfeld konnte keine Rede sein.
    So entging ihnen auch, dass sich die Schutzmauer an zwei Stellen auflöste oder genauer gesagt, sich in jenen nicht vorhandenen Zustand versetzte, in dem sie sich vor ungefähr tausend Jahren befunden hatte. Leise, aber nicht gänzlich lautlos drangen Tantabors Männer in den verbotenen Bezirk ein.
    Das Klappern ihrer Waffen und der Nebel ließen langsam die dritte Säule emporwachsen: die Angst. Selbst wenn im Dari Saadet niemand ahnte, dass die Wolke ausschließlich über dem verbotenen Bezirk hing, musste es den Verteidigern doch recht eigenartig erscheinen, dass die für sie schlimmste aller anzunehmenden Wetterlagen so genau mit dem Angriff auf das Haupttor zusammenfiel. Waren da etwa übernatürliche Kräfte im Spiel? Schon einmal hatten die Könige von Soodland ja ihre Macht über die Elemente bewiesen. Und was klapperte da? Etwa eine Armee aus Skeletten? Oder Geister, die glatt durch Wände gehen konnten?
    Welche Überlegungen innerhalb des umfriedeten Bezirks genau zum Ausbruch der Panik geführt hatten, ist nicht überliefert. Jedenfalls versagte die militärische Disziplin von Ysgas Truppe jäh und umfassend. Im Turm herrschte ein heilloses Durcheinander. Obwohl der Kommandant keinen entsprechenden Befehl ausgegeben hatte, folgte so gut wie jeder der Devise: »Nur raus hier, sonst kommen wir alle um!«
    Ein Sturm auf die Ausgänge setzte ein, bei dem mancher zu Tode getrampelt wurde. Die Fliehenden warfen Leuchter um. Hier und da begannen kleine Flammen wie Schlangen über Teppiche zu züngeln und schnell

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