Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Worte benutzen sollte, würde ich sagen: ›bescheiden‹.«
»Du darfst ruhig etwas ausführlicher werden, mein Lieber. Die Dame hat heute schon acht Beine und sechs Arme sowie einige kleinere Gliedmaßen amputiert. Von all den Wunden, die sie zugenäht hat, einmal abgesehen. Sie kann die Wahrheit vertragen.«
Der alte Recke atmete schnaufend aus, sah sie endlich an und deutete zum Schlachtfeld hinab. »Du siehst es ja selbst, Múria. Wir tun, was wir können.«
»Das habe ich nie infrage gestellt, mein Freund.«
»Aber neulich hast du an meiner Loyalität gezweifelt.«
Sie schloss die Augen, holte tief Luft und sagte betont langsam: »Ich erkläre es gerne noch einmal: An meinem alten Wegbegleiter Borst zweifle ich nicht. Aber ist jemand untreu, wenn ihn ein Pfeil tötet? Oder zweifelst du an Vanias Lauterkeit, weil der Inhalt eines Giftkelchs ihren Geist gefangen hält?«
»Das ist doch Unsinn!«, schnaubte Borst.
»Siehst du. Und aus diesem Grund würde ich auch niemanden verachten, dem eine Zornisse den Verstand verdunkelt. Trotzdem darf man einem Kranken nicht erlauben, mit seiner Schwäche eine Gefahr für Leib und Leben anderer zu sein. Er gehört unter Quarantäne.«
»Du hast mir mal erklärt, dass die Viecher nicht bei jedem gleich wirken. Ein Mensch, der sein dunkles Wesen nur mühsam verbirgt, wird ihnen leichter zum Opfer fallen als einer, der reinen Herzens ist.«
»Das stimmt.« Múria musste unwillkürlich an Ergil denken. »Wo ist eigentlich dein Adjutant?«, wechselte sie rasch das Thema.
Borsts dunkle Augen funkelten bedrohlich. »Ich weiß es nicht.«
Múria beging nicht den Fehler, »Wundert dich das?« oder etwas Ähnliches zu sagen. Sie wartete einfach.
»Er ist schon seit zwei Tagen verschwunden«, fügte Borst denn auch nach kurzem Brüten hinzu. »Vielleicht ist er gefallen.«
»Wir sammeln in jeder Nacht unsere Toten ein. Er war nicht darunter.«
»Oder in Gefangenschaft.«
»Die Wachen am Fuß der Klippe haben mir gesagt, dass er vorgestern Nacht den Geheimgang benutzt hat und nicht wieder aufgetaucht ist.«
»Was? Wieso erfahre ich das erst jetzt?«
»Mir wurde es selbst eben erst gemeldet. Der Posten sagte, Torbas habe den Feind auskundschaften wollen. Angeblich sei ihm von einem unserer Spione ein Hinweis gegeben worden, der zur entscheidenden Wende in der Schlacht führen könne. Aber in der Festung befinde sich ein Verräter. Deshalb sollten die Wachen mit niemandem über seine ›Rettungsaktion‹ reden.«
»Rettungsaktion? Das soll er gesagt haben?«
»Ja. Ich bin froh, dass die Männer nicht ewig gezaudert, sondern die Befehle Eures Waffenmeisters in den Wind geschlagen und mir Bescheid gegeben haben.«
»Und wenn er wirklich einer Verschwörung auf der Spur ist?«
»Ich fürchte eher, dass dein Adjutant ein wesentlicher Teil dieser Verschwörung sein könnte.«
Borst nickte. »Danke, Múria.« Mit nachdenklicher Miene wandte er sich von ihr ab und widmete sich wieder ganz der Schlacht.
Die beiden Bruchstücke des Schwertes Schmerz lagen auf dem Boden des kleinen Segelschiffes. Sie waren eingewickelt in ein schmutziges Tuch, das auf dem Webstuhl einmal weiß gewesen sein mochte, jetzt hingegen eher grauschwarz aussah und sich damit hervorragend mit der Nacht verband. Wenngleich nur der Zwergling mit seinen Katzenaugen das fast unsichtbare Bündel sehen konnte, musste es Torbas trotzdem unentwegt anstarren. Nur ab und zu hob er den Blick, um die Feuer des Feldlagers anzuvisieren und an der Pinne den Kurs zu korrigieren. Es war die dritte Nacht nach dem Aufbruch vom Fuß der Sooderburgklippe. Torbas hatte sich letztlich doch entschlossen, den Zwergling am Leben zu lassen, weil dessen besonderes Gespür für Höhlen ihm nützlich erschien. Da er alles andere als ein guter Segler war, zog er zunächst jedoch aus einer weiteren überraschenden Fähigkeit seines neuen Verbündeten Nutzen. Der Zwergling hatte sich während der Seeblockade ein gesundes Halbwissen über die Seefahrt angeeignet, welchem sie letztlich die unbeschadete Überquerung der Meerenge verdankten. Tatsächlich war es dann auch Gondo zuzuschreiben, dass sie das Versteck des Kristallschwertes so schnell gefunden hatten.
Am Morgen waren sie von der Küste zwischen Bjondal und dem Mondkap aus wieder in See gestochen und hatten den Soodlandbelt mit endlosem Kreuzen überquert. Noch ehe das Land in Sicht kam, erblickten sie die vom Schlachtfeld aufsteigenden Rauchwolken. Bis zum Einbruch der
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