Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
dem verletzten Wachmann sehen. Danach möchte ich Eure Wunde untersuchen.«
»Wozu, Herrin? Es ist wirklich nur ein Kratzer.«
Sie hob wieder die Augen und musterte ihn aus unbewegter Miene. »Glaubt mir, Freund Torbas, ich habe schon putzmuntere Männer mit weit weniger stark blutenden Wunden gesehen, die mir genauso wie Ihr eben antworteten. Und vierundzwanzig Stunden später waren sie mausetot.«
Zijjajims grünes Strahlen erfüllte Kaguans Zelle bis in den letzten Winkel. Ergil trennten nur drei oder vier Schritte von dem Gitter. Außer ihm und der Heilerin waren ein Dutzend Gardisten zugegen, die ihre Spieße und Pfeile auf den Zoforoth richteten.
Erst vor kurzem hatten zwei Wachmänner ihren verletzten Kameraden unter Aufsicht des Wundarztes abtransportiert. Der tiefe Riss in Gilberichs Hals war an Ort und Stelle genäht worden. Er hatte viel Blut verloren, aber Múria war zuversichtlich, dass er wieder auf die Beine kommen würde.
»Ich habe weder Zeit noch Lust, mich noch einmal von dir narren zu lassen«, sagte der König drohend zu dem Gefangenen, der erneut die stumme starre Pechfigur mimte. Ergil kämpfte gegen den Groll an, der schon wieder in seinem Unterbewusstsein brodelte. Er hatte sich fest vorgenommen, den Zornissen diesmal kein Festmahl aufzutischen.
Auf Kaguans Kopf erschien ein Gesicht, das jenem auf der anderen Seite des Gitters zum Verwechseln ähnlich war. Es grinste den König höhnisch an.
Ergils Selbstbeherrschung geriet ins Wanken. Bleib ruhig!, befahl er sich. Er wusste, dass er mit Himmelsfeuer letztlich nichts bewirken konnte, ohne sich derselben Gefahr auszusetzen, die vor wenigen Augenblicken zwei Männern fast zum Verhängnis geworden wäre. Schon gar nicht, wenn er sich vom Zorn mitreißen ließ. Ergil schloss die Augen.
Einen tiefen Atemzug lang konzentrierte er sich darauf, die kochenden Gefühle zu beruhigen, dann verwandelte er das Schwert wieder in den gläsernen Gürtel, schlang es sich um den Leib, drehte sich zu einem der Gardisten um und sprach ihn mit ruhiger Stimme an. »Ihr seid Ricklund, nicht wahr?«
»Ja, Majestät«, antwortete der Gefragte erstaunt. Es war ein hochgeschossener Bursche mit braunem Haar, etwa so alt wie Tusan oder Tiko.
Ergil lächelte. Freundlichkeit war für die Feuerraupen ungenießbar und seine vom Zorn aufgekratzte Seele lechzte nach ein wenig Balsam. »Ihr tragt die Rüstung der königlichen Leibgarde, habt also geschworen, bei Gefahr Euer Leben für mich zu opfern. Was für ein König wäre ich, wenn ich nicht einmal die Namen solcher treuen Männer kennte? Bitte leiht mir kurz Euren Bogen, Ricklund.«
Der Gardist reichte ihm das Kriegsgerät.
Als Ergil an Múria vorbei den Arm ausstreckte, bemerkte er ihre argwöhnische Miene. Sein Verstand riet ihm, alles noch einmal zu durchdenken, doch seine Hand wurde wie magisch von der hölzernen Waffe angezogen. Kaum hatte er sie berührt, da brach ein Damm in ihm und Grimm flutete durch ihn hindurch. Eigentlich war die martialische Geste nur als Drohung gemeint gewesen, stattdessen spannte er nun den Bogen, richtete die Pfeilspitze gegen die Decke und ließ die Sehne los.
Ein scharfes Geräusch wie von tausend Grillen hallte durch den Kerker. Kaguan krümmte sich. Der Pfeil hatte sich in seinen rechten Hauptarm gebohrt, dicht über der Hand. Ergil wusste es, bevor er sich wieder zu dem Gefangenen umdrehte. Hatten seine Gardisten ihn eben noch bewundert, sah er jetzt die Furcht in ihren Augen flackern – sie waren noch nie Zeugen seiner mittlerweile legendären Schüsse durch die Falten der Welt gewesen.
»Wenn du mich töten willst, dann ziele gefälligst genauer, Zweivölkersohn«, zischte Kaguan und zog die Eisenspitze mit einem Ruck aus seinem Arm.
Ergil ließ sich von Ricklund einen zweiten Pfeil geben, legte ihn auf die Sehne, wandte sich wieder zu dem Zoforoth um. »Verlangst du etwa Gnade von mir? Wie barmherzig bist du denn zu den Bartarin gewesen, die du in Silmao hingeschlachtet hast?« Er spannte den Bogen.
Die Schuppen seines Widersachers rasselten. »Wenn du mich umbringst, wirst du nie erfahren, wo ich das Schwert Schmerz versteckt habe.«
»Und wenn ich dich leben lasse?« In Ergils Innerem stritten zwei aufgeregte Stimmen miteinander. Die eine keifte: Er verhöhnt dich doch nur. Schieß endlich! Die andere dagegen beschwor ihn: Zügle den Groll! Es ist nämlich nicht dein eigener, sondern nur eine stinkende Ausdünstung der Zornissen. In dem Maße, wie Vernunft oder
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