Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
altes Wasser?«
»Jetzt hat er’s kapiert«, freute sich die Elvin.
Ergil beugte sich nun seinerseits über die Reling und deutete zu dem nur wenige Handbreit schmalen Wasserstreifen zwischen Rumpf und Eis hinab. »Was du da spritzen siehst, wurde vor zwölf Jahren aufgewirbelt.«
»Aber was passiert, wenn damals ein Fischerboot oder Walfänger unseren Kurs gekreuzt hat? Dann müssten wir doch mit ihnen zusammenstoßen, oder?«, fragte Popi. Ihm war sichtlich unwohl bei dem Gedanken.
»Ich glaube, da müssen wir uns keine Sorgen machen«, beruhigte ihn Ergil. »Die Silberginkgo würde dem Hindernis ausweichen, notfalls durch einen kleinen Hüpfer in der Zeit. Die Besatzung des anderen Schiffes bekommt davon nicht viel mit. Bestenfalls sieht sie eine kurze Erscheinung und erzählt im Heimathafen die Mär von einem Geisterschiff.«
»Und ich dachte, diese Berichte seien nichts als Seemannsgarn«, murmelte Bombo.
Der Eisige Ozean machte seinem Namen alle Ehre. Wohin das Auge auch blickte, sah man nur glitzerndes Weiß. Es war eine lebensfeindliche Wüste. Die Zeit schien sich in dieser Gleichförmigkeit aufzulösen wie der gefrorene Panzer unter dem Schiff. Nur die Schiffsglocke widersprach mit ihrem Läuten jede halbe Stunde diesem Gefühl. In ihrem langsamen Takt dehnten sich Stunden zu Tagen und Tage schließlich zu Wochen.
Ein anderes, für einen Hochseesegler eher ungewöhnliches Ritual hatte mit den Schlittenwölfen zu tun. Um in Form zu bleiben, brauchten die Tiere regelmäßig Auslauf. Ergil hatte sich schnell mit ihnen angefreundet und fand im Spiel mit den zähen Vierbeinern willkommene Ablenkung von der »Meditation über das Licht«. Múria hatte gesagt, die Zornissen könnten nur ausgehungert werden, wenn man ein ganzes Menschenalter in solch sinnender Betrachtung verbringe. Daher widmete er sich täglich ein paar Stunden der stillen Kontemplation, obwohl er am Zweck dieser Übung zweifelte.
Schekira ließ nichts unversucht, ihn anzuspornen. In Anspielung auf die Seereise hatte sie kurz nach dem Auslaufen gesagt: »Ein einziger böser Gedanke genügt, um dich für immer in die Irre zu führen, aber viele gute sind nötig, um dein Leben auf dem richtigen Kurs zu halten.«
Obgleich Ergil dem tiefen Nachsinnen durchaus etwas abgewinnen konnte, regte sich in ihm allzu oft auch jene andere Seite seiner Seele, die seit Twikus’ Tod stärker geworden war.
Er wollte nicht herumsitzen und auf das Meer hinausstarren. Jeder Tag, den sie auf See zubrachten, führte seine Mutter näher an den Tod heran.
Leider hatte das Sirilimschiff seine hohe Geschwindigkeit nicht beibehalten können. Das Segeln durch ein vergangenes Meer forderte ihm offenbar mehr Anstrengung ab als die übliche Art der Fortbewegung. Nach zwei Wochen auf See verschlechterte sich dann auch noch das Wetter. Zuerst hatten nur dunkle Wolken den Himmel verfinstert, aber dann zog ein Sturm auf, der die Eiskristalle vor sich hertrieb wie ein Wolf die Schafe.
Doch die Silberginkgo schirmte sich und ihre Mitfahrer von solchen Unbilden ab. Popi hatte der schützenden Aura den Namen »Zeitblase« gegeben. Sogar die Temperaturen darin waren die eines milden Sommers auf dem Eisigen Ozean: angenehm frisch. Nur auf die Sicht hatte das Sirilimschiff offenbar keinen Einfluss. Im Schneesturm erkannte man gar nichts. Bombo wollte Anker werfen und das Unwetter abwarten, doch Ergil sprach sich dagegen aus.
»Vertrau mir. Unsere weiße Schönheit kennt den Kurs«, hatte er zum Kapitän gesagt. Es war der sechzehnte Tag seit Auslaufen aus Kimsborg. Beide standen auf dem Oberdeck und blickten in das weißgraue Einerlei, das dichter als jeder Nebel war.
Um die Laune des Seemannes stand es nicht zum Besten. »Das ist unmöglich«, grunzte er. »Niemand hat je den Weltenbruch umschifft.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein? Vielleicht ist ja Harkon…«
»Ergil«, unterbrach Bombo seinen Gefährten mit mühsam erzwungener Geduld. »Sieh dich doch um. Lausche dem Gebrüll des Windes. Wie soll ein umgebautes Kohlenschiff einen solchen Eisorkan überstehen? Harkon hatte nicht so ein… Sirilimding wie wir. Seine Ginkgoblüte war nur eine Bark mit geringem Tiefgang. Wenn du mich fragst, hält sich der Weltenbruch jeden mit Stürmen, Kälte und Eis vom Leib, der ihm zu nahe kommt. Die alte Hakennase muss gescheitert sein, so wie jeder andere vor ihm.«
»Selbst wenn du Recht hast – ich spüre, dass die Silberginkgo weiß, wohin unsere Reise geht. Es
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