Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
vorwurfsvoll als vielmehr beschwörend. »Wir alle zusammen seien die Gemeinschaft des Lichts, hast du gesagt. Ich würde dich glücklich machen, wenn ich dich zukünftig in den Kreis deiner Vertrauten einschlösse. Und dann hast du noch hinzugefügt: ›Uns stehen einige Prüfungen bevor, die wir nur meistern können, wenn sich jeder rückhaltlos auf den anderen verlassen kann.‹ Meinst du nicht, das gilt genauso auch für dich, mein Freund?«
Die Zornissen schienen in der von Ajuga erschaffenen Wirklichkeit keine Macht zu besitzen. Daher reagierte Ergil nicht zornig, weil ein einfacher Schmied ihm, dem König von Soodland, den Kopf zurechtrückte. Er empfand nur Dankbarkeit. Und Scham.
Sein Blick schritt die Gesichter der Gefährten ab und er sagte leise: »Tiko spricht die Wahrheit. Bitte verzeiht mir. Ab sofort soll es keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben. Und wenn ich je eine Gefahr für euch oder die Sache unserer Gemeinschaft werde, dann ist es besser, ihr nehmt ein Schwert und erschlagt mich damit.«
»Niemals könnte ich das tun«, stieß Popi hervor.
Ergil sah ihn lange an, ehe er antwortete: »Wenn du mein Freund bist, dann wirst du es vielleicht tun müssen.«
Eine andächtige Stille trat ein. Die Bäume schienen es nicht eilig zu haben, diese zu beenden, aber dann ergriff doch wieder Ajuga das Wort.
»Jetzt seid ihr wieder in Harmonie vereint. Das freut mich sehr. Fehlt nur noch unser junger Sprössling. Bist du immer noch knorzig, Föhribus, oder nimmst du die Entschuldigung des Königs an?«
»Wird er mir meinen Trieb zurückgeben, wenn ich es tue?«
»Verzeihen heißt verzichten, mein kleiner Spross. Aber am Ende wirst du hundertfach gewinnen.«
»Na gut«, lenkte der Dünne ein.
Ajuga lächelte, dass die Späne flogen. »So gefällt mir das. Jetzt komm zu mir, Föhribus, und nimm deinen Verband ab.«
Der Höfling gehorchte. Als er unmittelbar vor seinem König stand, wurde Ergil der Größenunterschied erst richtig bewusst. Föhribus legte seinen Fingerstumpf frei. Er war blutig grün.
»Halte ihn bitte hoch«, forderte der Alte den Jungen auf.
Der Wurzelige tat, wie ihm geheißen.
Ajuga ließ seine Rechte mit dem ausgestreckten Zeigefinger herab. Daran hing ein honiggelber Tropfen, der sich zäh von der Kuppe löste und auf den Stumpf tropfte. Sobald sich das Harz des Baumkönigs um die Wunde gelegt hatte, verschwand das grüne Blut und die gesunde braune Farbe kehrte in das verletzte Glied zurück. Und dann begann es zu wachsen. Binnen weniger Augenblicke war der Finger länger als alle anderen.
»Hört er auch wieder auf zu sprießen?«, fragte Föhribus bang.
»Sagte ich nicht, am Ende wirst du hundertfach gewinnen?«, erwiderte Ajuga schmunzelnd.
»Ich will nur nicht, dass mein ganzer Saft in nur einen Finger schießt.«
»Nur keine Sorge, kleiner Sprössling. Es bleibt dir noch genug Kraft, um unseren Freunden weiter zu dienen. Doch nun lass mich sie bitte mit der Aufmerksamkeit beehren, die ihnen gebührt.«
Im Folgenden stellte Ajuga den »Floranischen Ministerrat« vor, wobei er auf jeden einzelnen der umstehenden Bäume einging. »Nachdem wir uns so bekannt gemacht haben«, fuhr er sodann fort, »verratet mir bitte eines, König Ergil. Ihr habt vorhin einen so tiefsinnigen Ausspruch getan: Vertrautes erscheine Euch fremd und Fremdes vertraut. Ersteres habt Ihr gewiss im Hinblick auf die Elvin und Euren Weberknechtfreund gesagt, aber in Letzterem glaubte ich einen Unterton wahrzunehmen, der sich wohl nicht allein auf den großen alten Baum bezog, den Ihr heute schon zur Genüge bestaunt habt.«
»Das ist richtig«, gab Ergil zu. »Vor nicht allzu langer Zeit lernte ich Soldina, das Meer der Zungen, kennen. Sie erzählte mir von Ajuga dem Jüngeren, dem König der Wurzeligen von Mirad.«
»Ihr seid im Meer der Zungen gewesen?«, knarzte Ajuga sichtlich bewegt. »Als ich sie zuletzt sah, war sie nur ein Häuflein von Keimlingen, das ich den Sirilim anvertraute. Was ist aus ihr geworden? Wie geht es ihr?«
Als der Name des Alten Volkes fiel, ging ein Ruck durch Jazzar-fajims Körper. Ergil ahnte, dass im Kopf seines Urgroßoheims gerade dieselben Gedankenverbindungen geknüpft wurden, die sich bei der Nennung von Ajugas Namen auch in dem seinen gebildet hatten. Daher war er nicht ganz bei der Sache, als er antwortete: »Soldina? Oh, ich würde sagen, sie ist ganz prächtig gediehen. Zuletzt hat sie sich einen Spaß daraus gemacht, ein paar Beinige ordentlich
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