Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Selbstbestimmung, aber anders hätten wir die unharmonische Stimmung nicht beilegen können, die Ihr mit Eurem Schwertstreich ausgelöst habt.«
»Beinigen?«
»So nennen wir alle Geschöpfe, die keine Wurzeln, aber ein wenig Verstand besitzen.«
»Ah!«
»Ihr könntet ihn allmählich zur Rede stellen, Vater Ajuga«, mischte sich Föhribus ein und fuchtelte mit seinem verbundenen Fingerstumpf herum.
»Nur Geduld, kleiner Sprössling«, mahnte Ajuga, um sich gleich wieder Ergil zuzuwenden. »Ihr hört, was Föhribus sagt. Wieso habt Ihr ihn verstümmelt?«
Der Gefragte starrte auf den grünen Fleck im nässenden Verband des jungen Wurzeligen. »Ihr wart das?«
»Ich wollte mir nur einen Eindruck von Euch verschaffen«, jammerte Föhribus. »Da habt Ihr wie eine sturmgepeitschte Trauerweide auf mich eingeschlagen und mir meinen frischen Trieb abgehackt.« Er hob demonstrativ den Fingerstumpf.
»Das tut mir aufrichtig Leid.«
Der Sprössling verschränkte die Arme über der Brust, was wegen ihrer Steifheit unfreiwillig komisch anmutete, blickte in die entgegengesetzte Richtung und erwiderte spitz: »Hinterher lässt sich das leicht sagen.«
»Ich meine es aber ernst«, beteuerte Ergil. Ihm war gerade bewusst geworden, in welch misslicher Lage er und seine Freunde sich befanden. Wenn dies alles ein Wachtraum war, dann lagen sie vermutlich immer noch da, wo sie der gelbe Pollennebel niedergestreckt hatte: unter der mächtigen Baumkrone. Ja, der uralte Riese musste Ajuga sein. Sie konnten weder vor ihm weglaufen noch sich mit ihren Waffen zur Wehr setzen. Ihre einzige Verteidigung war der Geist, der in dieser anderen Wirklichkeit mit den Bäumen sprach.
Föhribus’ Harmoniesinn war offenbar noch unterentwickelt, so wie er sich gebärdete. »Woher sollen wir wissen, ob Ihr nicht Schlimmeres gegen uns im Schilde führt? Womöglich kommt Ihr demnächst mit Äxten wieder, um in Floranien einen Kahlschlag anzurichten.«
»Ganz bestimmt nicht«, versprach Ergil. »Es war ein Missverständnis, eine unbedachte Tat. Als Euer Trieb sich um mein Handgelenk wand, wurde ich wütend, weil ich so etwas Ähnliches schon einmal erlebt hatte. Damals wurden meine Freunde und ich fast von Schlingwurzeln umgebracht.«
»Ich bin eine Föhre und kein Würgewurz«, versetzte der Höfling pikiert, wobei er das letzte Wort hörbar angewidert herauspresste.
»Es lag mir fern, Euch zu beleidigen, Herr Föhribus. Ich bin nur ein… Wie hat Euer König das genannt? Ein Beiniger? Jedenfalls sehen für mich alle Triebe gleich aus. Hinzu kommen Sorgen, die mir schlaflose Nächte und stetige Unruhe bescheren. Deshalb habe ich in letzter Zeit manchmal meine Gefühle nicht unter Kontrolle.«
»Es sind wohl nicht allein die Bürden, die Euch für die dunklen Gefühle empfänglich machen«, bemerkte Ajuga mit ruhiger Strenge.
Ergil stockte. »Was?«
»Die aphim dürften der eigentliche Grund für Eure Unbeherrschtheit sein, nicht wahr?«
»Aphim?« Das Echo kam von Beinigen und Wurzeligen gleichermaßen.
Ergil senkte beschämt den Blick und nickte. »Woher wisst Ihr von den Zornissen?«
Mit einem Mal klang Ajugas knarrend tiefe Stimme ganz sanft. »Wir beide sind nicht so verschieden, wie du glaubst, junger König. Ich muss ein Geschöpf nur berühren und kann sein Wesen ganz und gar durchdringen. Ähnlich wie es die Sirilim zu tun vermögen.« Seine großen Augen richteten sich auf Jazzar-fajim.
»Zornissen?«, murmelte Tiko.
Ergil seufzte. »Das sind Schmarotzer, die sich von üblen Wesenszügen und Gefühlsäußerungen ernähren. Als ich in eurer Schmiede gegen Kaguan kämpfte, hat er sie gegen mich eingesetzt. Jetzt stecken sie irgendwo in meinem Kopf. Manchmal machen sie mich unbeherrscht und… Und irgendwann werden sie mich wohl töten.«
»Oder zu einem Diener des Bösen machen«, fügte Jazzar-fajim ruhig hinzu.
»Du hättest uns davon erzählen müssen«, sagte Tiko.
»Ich wollte euch nicht beunruhigen. Wenn wir nur meine Mutter retten, dann ist mir alles andere egal.«
Nun mischte sich auch Tusan ein. »Ich habe einiges über Zornissen gehört, Ergil, und ich muss Tiko zustimmen. Wenn die Feuerraupen dich nicht töten, könntest du ein willenloses Werkzeug des Bösen werden. Mit deiner Macht wäre es Kaguan ein Leichtes, seinen Gebieter nach Mirad zurückzurufen.«
Ergil kam sich vor wie ein Versager.
»Kannst du dich noch erinnern, was du mir auf der Sooderburg erklärt hast?«, fragte Tiko. Diesmal klang es weniger
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