Mirad 03 - Das Wasser von Silmao
Gelbsee erlittene Schmach, der Niedergang von Soodland, der Tod von König Ergil.
Großmut, Aufrichtigkeit und Selbstbescheidung gehörten zu den Begriffen, die in König Entrins Wortschatz nicht vorkamen. Er war ein ehrgeiziger Mann. Mittelmäßigkeit wurde von ihm, wenn seine Ziele darunter litten, schon mal mit dem Tode bestraft. Menschen, die auf das zweifelhafte Vergnügen einer persönlichen Begegnung mit ihm zurückblickten, beschrieben ihn trotz seiner immensen Körperfülle oft als verzärtelten Schwächling. In Wortgefechten erlitt er meistens Niederlagen. Einem festen Blick wich er gewöhnlich nach kurzer Zeit aus. Aber sobald ein unbequemer Zeitgenosse ihm den Rücken zuwandte, schnappte er zu wie eine Viper, die ihre Giftzähne in die Fersen eines Rosses schlägt. Kurzum: Entrin war hinterhältig, der geborene Intrigant.
Seine wuchtige Statur setzte er durchaus raffiniert ein. Mit ihr kaschierte er geschickt seine Feigheit. Für die pandorischen Hofschneider war sie zwar eine stete Herausforderung, weil sie sich ständig veränderte, doch der Selbsterhaltungstrieb spornte die Meister von Nadel und Faden immer wieder zu neuen Höchstleistungen an, welche sich für ihren wählerischen Monarchen auszahlten. In edelste Stoffe gehüllt und mit goldenen Tressen beladen, machte der Monarch eine Respekt heischende Figur. Sogar der König von Ostrich – Spötter nannten Godebar den »wandelnden Fleischklops« – hatte Entrin als seinesgleichen anerkannt. Wer vermutete schon hinter einem solchen Schwergewicht einen, der lieber zum Verrat als zum Schwert griff, der vorne schmeichelte und hinten das Stilett aus dem Ärmel zauberte, mit dem er seine Gegner erstach?
Eigentlich hätte Entrin, nachdem er seinem grobschlächtigen Vetter Borst mit Wikanders Waffenhilfe den Thron abgejagt hatte, ein ruhiges Leben führen können. Pandorien war – neben dem Stromland – die Kornkammer des Sechserbundes. Die Staatskasse floss über von Juwelen aus den königlichen Edelsteingruben an der Dinganschlucht. Die Stimme eines solchen Reiches wog schwer im Bund der Sechs. Aber mit derlei Nichtigkeiten wollte sich Entrin nicht begnügen. Er hatte seinen grobschlächtigen Vetter Borst vom Thron gestoßen und sogar Wikander überlebt. Jetzt fehlte ihm nur noch die Krone des Großkönigs.
Ein Knurren bahnte sich den Weg durch seine Eingeweide, bis es in Gestalt einer kleinen stinkenden Wolke seinem Rachen entstieg. Die Erinnerung an jenen dunklen Tag, als Twikus seinen Oheim von der Spitze des Knochenturmes gestoßen hatte, bereitete Entrin regelmäßig Verdauungsprobleme. Damals hatte er, so wie es seinem Naturell entsprach, vor den jungen Königen das Knie gebeugt, anstatt ihnen ins Gesicht zu sagen, was er von dem Schwächling Torlund und seiner Brut hielt. Die nicht nur anstrengende, sondern auch demütigende Übung würde dem Überlebenden der zwei noch teuer zu stehen kommen.
Zu seinem unsäglichen Missfallen wusste Entrin nicht, wann er seinem Feind am besten in den Rücken fallen konnte.
Der König saß im viel zu kleinen Thron seines Vorgängers, beschützt von zwei mit Schwertern und Hellebarden bewaffneten Schatten, und grübelte über das Gespräch mit Baron Nartoz nach. Nartoz war der Kopf des pandorischen Geheimdienstes. Eben erst hatten sie miteinander gesprochen. Dessen erste Mitteilung löste noch nachträglich im Gedärm des Königs eine geräuschvolle Gegenwehr aus: Entrins Vetter, der von ihm mit Hingabe gehasste Borst, weile immer noch auf der Sooderburg, meldete ein Spitzel. Alle Versuche, den vogelfreien Exilanten zu meucheln, waren bisher gescheitert und solange er unter dem Schutz der soodländischen Leibgarde stand, gab es wenig Hoffnung, an diesem bedauernswerten Zustand etwas zu ändern.
Auch der übrige Bericht des Magistrats war ziemlich niederschmetternd gewesen. Nicht, weil seine Spione schwiegen. Ganz im Gegenteil. Sie überhäuften das »Geheime Amt für Nachrichten« mit Botschaften über Ergil. Das Dumme daran war nur: Die Meldungen widersprachen sich. Der König war zwar noch jung und beweglich, aber er konnte wohl kaum am Morgen in Timmerburg eine Universität ihrer Bestimmung übergeben und am Abend desselben Tages mehr als tausend Meilen weiter südlich auf dem Schloss von Fürst Halbart Bookson in Grotsund einem Bankett beiwohnen. Gewiss steckte Múria dahinter. Dieser Hexe traute Entrin alles zu. Weil sie wusste, dass er aus einer Position der Ungewissheit nie den Marschbefehl für
Weitere Kostenlose Bücher