Mirage: Roman (German Edition)
Gebäude. Die äußere Lattenverschalung war schon angebracht worden, aber die Fenster waren lediglich mit Plastikplane abgedeckte offene Löcher, und die Innenräume waren kahle Wandpfosten und Beton. Die Pfosten waren pelzig vor Staub, als wäre die Bautätigkeit schon vor einiger Zeit unterbrochen worden.
»Hier entlang«, sagte McVeigh.
Das Gebäude war eine langgestreckte Modulkonstruktion, deren einzelne Baueinheiten aus einer Anzahl von Zimmern bestanden, die einen Mittelgang flankierten. Jedes Modul war weiter gediehen als das vorausgegangene – Gipskarton tauchte auf, dann Wandfarbe, Einbauten und Auslegeware –, und die immer gleiche Raumaufteilung erzeugte bei Mustafa den Eindruck einer einzigen Büroetage, die sich um ihn herum, während er auf der Stelle trat, selbsttätig mehr und mehr fertigstellte. Die letzte Einheit hatte Strom. Der plötzliche Schwall von klimatisierter Luft erwischte Mustafa unvorbereitet, und er reagierte so, wie sein Vater es getan hätte, indem er sich an die Gänsehaut der Oberarme griff. »Der Direktor mag es kalt«, sagte Timothy McVeigh.
An der Tür am Ende des Ganges prangte ein amtlich aussehendes Siegel, das sich bei näherer Betrachtung als handgemalt erwies. Es zeigte einen Adler mit einem einsamen Stern an der Brust und einem Fetzen Pergament im Schnabel; eine Klaue hielt ein Kreuz und die andere ein Bowiemesser. Auf dem kreisförmigen Rand des Siegels stand als Devise eine Stelle aus dem Johannesevangelium: »Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.«
McVeigh klopfte an und öffnete die Tür. Das Büro, das dahinter sichtbar wurde, war, wie das ganze Gebäude, noch in Arbeit. Als sie eintraten, standen zu ihrer Rechten ein Sofa samt nicht dazugehörigem Sessel, die ohne Weiteres vom Sperrmüll aufgelesen sein konnten, und ein kniehoher Plastiktisch. Links ein kleiner Stapel Kartons. An der Stirnwand des Zimmers stand ein Schreibtisch, auf dem nichts anderes lag als ein in Leder gebundener Wälzer, in dem Mustafa eine Bibel vermutete, wenn er auch nicht hätte sagen können, welche; an den Rändern der Seiten klebten zahlreiche handbeschriebene farbige Zettel, die das Buch noch ein wenig dicker machten.
Hinter dem Schreibtisch war ein Mann, der ihnen den Rücken zukehrte. Er stand vor einem Fenster, so als betrachtete er die Aussicht, aber die Scheibe war noch mit einer Schutzfolie bedeckt, die sie undurchsichtig machte.
»Sir?«, sagte McVeigh. »Ich habe, wie Sie verlangten, Mr Bagdadi mitgebracht.«
Der Mann drehte sich langsam um. Er trug Jeans und ein Kattunhemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Er hatte dichtes, lockiges braunes Haar und braune Augen hinter einer goldgeränderten Pilotenbrille. Sein dunkler Stoppelbart hatte Anflüge von Grau. Mustafa schätzte sein Alter auf ungefähr fünfzig.
»Mustafa al-Bagdadi«, sagte der Mann. »Danke, dass Sie gekommen sind. Mein Name ist David Koresh.«
»Darf Timothy Ihnen etwas bringen, Mr Bagdadi?«, fragte David Koresh. »Kaffee? Tee? Eiswasser? Wir haben auch Bier, falls Sie trinken, aber ich vermute, eher nicht.«
»Nein danke, nichts.«
»Schön … Du kannst uns jetzt allein lassen, Tim.«
»Ja, Sir«, sagte McVeigh. »Ich warte dann draußen.« Er verließ das Zimmer.
»Also, Mr Bagdadi … Darf ich Sie Mustafa nennen?«
»Bitte.«
»Danke, Mustafa. Bitte nennen Sie mich David.«
»David«, sagte Mustafa. »Und ›Koresh‹? Das ist ebenfalls ein jüdischer Name, nicht? Sind Sie jüdischer Abstammung?«
»Nein.« Koresh lachte. »Mein Familienname ist Howell. Vernon Wayne Howell, das ist mein Geburtsname. In David Koresh habe ich ihn nach meiner Salbung geändert, als ich erkannte, welchen Plan Gott für mich hatte.«
»Ach so. Ich verstehe.« David vermutlich nach dem Propheten, der Goliath tötete. Und Koresh – Kyrus –, das wäre der König, der Nebukadnezars Reich eroberte. Mustafa stellte sich eine Statue – einen ganzen Saal voller Statuen – mit Koreshs Gesicht vor. »Ich sollte Sie warnen, David: Falls Sie nach dem Thron von Babylon streben, müssen Sie sich auf Konkurrenz gefasst machen.«
»Saddam Hussein, meinen Sie?« Wieder lachte er. »Wir stehen nicht in Konkurrenz miteinander. Mr Hussein ist ein Geschöpf der Welt. Ich bin an weltlichem Lohn oder Ansehen nicht interessiert. Nicht mehr.«
»Saddam interessiert sich für Sie.«
»Ich weiß. Er war es, der Sie auf meine Spur gesetzt hat, nicht wahr?« Mustafa nickte, und Koresh fuhr fort: »Er
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