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Mirage: Roman (German Edition)

Mirage: Roman (German Edition)

Titel: Mirage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Massenschlägereien.
    Iyad näherte sich Sadr-Stadt von Südosten her, machte einen Umweg über den Vorort Neu-Bagdad und fuhr dann den Jerusalem-Boulevard hoch. Am Habibiya-Kreisel, wo der Boulevard die Port-Said-Straße kreuzte, kampierten die Schutzengel auf der runden Verkehrsinsel – mindestens fünf Dutzend Männer in Schwarz, die auf den Geländewagen saßen oder standen, die sie als Abfänger einsetzten. Der ankommende Verkehr verlangsamte auf dem Kreisel in der Regel die Fahrt, weil jeder hoffte, auf diese Weise nicht aufzufallen und angehalten zu werden, doch Iyad behielt eine zügige Geschwindigkeit bei und winkte den Grenzwachen zu. Mehrere winkten zurück, darunter ein besonders muskelbepackter Schutzengel, der sein Uniformhemd gegen ein kurzärmliges Trikot eingetauscht hatte, auf dem, quer über die Brust, zu lesen stand: DARF ICH IHNEN IHRE RECHTE VORLESEN, WACHTMEISTER?
    Das Taxi fuhr weiter den Boulevard entlang und passierte zwei Autos mit Kennzeichen anderer Bundesstaaten – eines aus Jordanien, eines aus Katar –, die an den Straßenrand gewinkt worden waren. Ein Stück weiter hatte ein Geländewagen einem gemieteten Reisemobil mit einer dänischen Fahne an der Antenne, das das Signal anzuhalten ignoriert hatte, den Weg abgeschnitten. Jetzt mussten die drei Insassen auf der Straße herumstehen, während das Fahrzeug nach Schmuggelware durchsucht wurde. Als das Taxi vorbeifuhr, stieg ein Schutzengel gerade aus dem Heck des Reisemobils aus und wedelte mit einem Stoß ›Mikkel-Mus‹-Heften, als wären es Pornomagazine.
    »Hirnlose Touristen«, knurrte Iyad. Samir schielte nach den glücklosen Dänen und begann, nervös auf seinem Sitz herumzurutschen, und Iyad, der das im Rückspiegel mitbekam, sagte: »Mann, ich hab’s Ihnen gesagt, uns passiert schon nichts. Aber wenn Sie mit dem Gezappel nicht aufhören, kriegen wir noch Probleme.«
    »Tut mir leid«, sagte Samir und zwang sich stillzusitzen.
    Mustafa, der sich selbst wie ein Tourist vorkam, starrte hinaus auf den Boulevard und verglich ihn mit seinen Erinnerungen aus den frühen Neunzigern, als die Halal hier regelmäßig zu tun gehabt hatte. Keine Frage, durch die Mahdi-Armee hatte sich einiges verbessert. Auch wenn der Distrikt noch immer darunter litt, dass er seit Jahrzehnten bei jeder städtischen Haushaltszuweisung an allerletzter Stelle rangierte, hatte die Armee wie besessen gearbeitet, um die zerbröckelnde Infrastruktur zu flicken: hatte Schlaglöcher aufgefüllt, Bürgersteige repariert, baufällige Gebäude abgestützt und Müllabfuhr und andere Dienstleistungen organisiert, die im größten Teil von Bagdad als selbstverständlich galten. In der Luft hing ein schwerer Dieselgeruch von den Tausenden von Generatoren, die zur Unterstützung des unzuverlässigen Stromnetzes eingesetzt wurden, wobei der nötige Kraftstoff von Baath-eigenen Tanklastzügen und von der Baath kontrollierten Erdöldepots abgezapft wurde.
    Die einst grassierende traditionelle Straßenkriminalität war mittlerweile praktisch inexistent. Aber hier und da gab es flüchtige Eindrücke vom Preis, den das alles kostete – von der dunklen Seite der neuen Ordnung. In einer Zeile von gepflegten Läden erspähte Mustafa ein Lebensmittelgeschäft, dessen Schaufenster gerade eingeschlagen worden war. Der Schutzengel, der die Tat verübt hatte, stand noch immer da und klopfte sich mit einer Keule in die hohle Hand, während der Ladenbesitzer mit schmalen Lippen die Scherben zusammenkehrte.
    »Was ist da los?«
    »Glotz nicht, Vetter«, sagte Iyad. Er zuckte die Achseln. »Der Typ muss gegen eine Regel verstoßen haben. Vielleicht hat er den Laden während der Gebetszeit aufgelassen, oder er hat versucht, etwas Unerlaubtes zu verkaufen. Könnte auch sein, dass er seine Beiträge nicht bezahlt hat.«
    »Beiträge«, sagte Mustafa, und Iyad zuckte wieder die Achseln.
    »Bildest du dir ein, dein Kumpel Saddam fordert von den Ladenbesitzern auf seinem Territorium keine Schutzgelder? Hier bekommt man wenigstens wirklich den Schutz, für den man zahlt.«
    Als sie an der nächsten Ecke vor einer roten Ampel hielten, schaute Mustafa zu den zwei Plakatwänden auf, die gleich ein Stück weiter neben der Hochbahnstrecke aufragten. Auf der einen prangte das allgegenwärtige AS-SADR ZUM GOUVERNEUR. Das andere Plakat war eine Werbung für eine örtliche Mobiltelefongesellschaft, mit einer Karte des Iraks, die ihre »fast lückenlose« Netzabdeckung mit derjenigen ihrer Konkurrenten

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