Mirandas Monsterwelt
Stirn. Er dachte an die Ehe mit Claudia. Sie war nicht glücklich gewesen. Überhaupt nicht. Als eine kleine Hölle hatte er sie immer bezeichnet. Claudia hatte zu den Typen gehört, die stets für sich sein wollten, die man als introvertiert bezeichnete, und die nie aus sich herausgegangen war.
Sie hatte in einer Welt für sich gelebt und oft stundenlang vor dem Spiegel gesessen, in den sie dann hineingefallen war. Erstanden hatte sie ihn bei einer Bekannten, die ähnlich war wie sie. Die beiden hatten sich immer gut verstanden und waren oft zusammen gewesen. Mehr wußte selbst Percy Morton über den Spiegel nicht.
Er beschloß zudem, das Thema zu beenden und in der folgenden Vollmondnacht sehr vorsichtig zu sein. Lächelnd nickte er seiner Tochter zu. »Willst du nichts essen?«
»Nein, heute nicht.«
»Aber du mußt wenigstens…«
»Daddy«, sagte Miranda mit einschmeichelnder Stimme. Sie wußte, wie sie ihren Vater herumkriegen konnte. »Ich werde einen Schluck Kaffee trinken und später etwas zu mir nehmen. Einverstanden?«
Percy schluckte den Rest der Toastscheibe hinunter und spülte mit Orangensaft nach. »Das mußt du mir versprechen.«
»Klar.«
»Und was wirst du sonst machen?«
»Ich will einkaufen. Es fehlt so einiges. Wir haben in der letzten Zeit viel gegessen. Ich möchte vor allen Dingen frisches Obst besorgen.«
Damit war Morton einverstanden. Er hatte sich schon hingestellt, tupfte noch über seine Lippen und ließ die Serviette fallen. Miranda begleitete ihren Vater bis in die Diele, wo die Uniformjacke über einem Bügel hing.
Er zog sie an, prüfte ihren Sitz, nahm auch seine Mütze, setzte sie aber noch nicht auf. Mit zwei Küssen auf die Wangen verabschiedete er sich von Miranda.
Dann ging er.
Als Miranda das Schlagen der Haustür vernahm, huschte sie zum Fenster, von dem aus sie einen guten Blick auf die Garagenzufahrt hatte. Schon bald tauchte dort das Heck des Mazda auf, den ihr Vater fuhr. Aus dem Innern des dunkelblauen Wagens winkte er ihr noch einmal zu, bevor er rückwärts auf die Straße setzte und wegfuhr.
Miranda ließ die Gardine wieder fallen. Jetzt befand sie sich allein im Haus, und das hatte sie nur gewollt. Über das noch kindlich wirkende Gesicht glitt ein Lächeln. Sie hatte ihrem Vater nicht die volle Wahrheit erzählt. Der Traum war viel intensiver gewesen, und sie stand auch noch immer in Kontakt mit ihrer Mutter, nur konnte sie ihrem Vater darüber nichts erzählen. Der hätte ihr nicht geglaubt oder wäre wahnsinnig geworden.
Mutter und Tochter!
Die eine verstorben, die andere lebend. Eine Kombination, die es eigentlich nicht geben durfte, die schon an Wahnsinn grenzte, wenn man davon ausging, daß beide noch miteinander kommunizierten.
Miranda warf einen Blick auf den Frühstückstisch. Das hatte Zeit, sie würde ihn später abräumen, und auch ihr Lernen war nicht wichtig. Was bedeutete schon die Betriebswirtschaft im Vergleich zu den Dingen, die sie als Metaphysik bezeichnete?
Nichts, gar nichts.
Und so schritt sie in den kleinen Für, wandte sich der Treppe zu und lief in die erste Etage, wo ihr Zimmer lag, das ein großes Geheimnis verbarg.
Sehr oft war auch ihr Vater hier oben gewesen. Er hatte alles gesehen, aber nicht das eigentlich Wichtige, und er hatte sich auch nicht darum gekümmert, daß die linke der beiden Schranktüren verschlossen war.
Den Schlüssel dazu hatte Miranda versteckt, und nur sie wußte, wo sich dieses Versteck befand.
Sorgfältig drückte sie die Tür ins Schloß, ging zum Fenster und schob die Vorhänge zu. Eine Nachbarin schritt mit einer Einkaufstasche am Haus vorbei.
Miranda lächelte, die Nachbarin winkte, und das Mädchen dachte daran, wie gut sie bei all den Leuten gelitten war, weil sie einen so stillen, in sich gekehrten Eindruck machte und ihrem Vater half, das schwere Los zu überwinden.
Alles Heuchler, dachte sie.
Alles nur Tünche. Tatsächlich interessierte sie sich für ganz andere Dinge, wie sie immer wieder bewiesen hatte. So auch jetzt.
Durch die zugezogenen Vorhänge drang nicht sehr viel Tageslicht in das Zimmer. Der Raum blieb im Halbdunklen, und Miranda griff unter ihr Bett, um einen handgroßen Kasten aus Porzellan hervorzuholen, dessen Deckel sie aufklappte.
Auf dem hellen Boden lag ein dunkler Schlüssel. Er paßte haargenau zu dem Schloß an der linken Schranktür.
Es war ein heller Schrank. Er sah freundlich aus, aber der Inhalt war etwas Besonderes.
Verzerrt sah sie ihr Bild.
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