Mirandas Monsterwelt
einer.«
»Oder so ein Torfstecher.« Er sagte es sehr böse.
»Sehe ich so aus?«
»Euch kann man nicht trauen.«
Um überhaupt eine Antwort zu bekommen, zeigte ich meinen Ausweis vor. Der Bauer stemmte sich gegen den Wind, der seine Haare zurückblies und nickte. »Na ja, Sie scheinen doch ein Verrückter zu sein. Fahren Sie noch eine halbe Meile weiter. Dann können Sie links ab in einen kleinen Weg einbiegen.«
»Und der bringt mich durch den Sumpf.«
»Fast bis an die Themse. Sie werden ja merken, wenn ihr Wagen langsam verschwindet. Viel Spaß.«
Er grinste zwar, ich aber verkniff mir ein Lächeln, stieg wieder ein und fuhr los.
Der Bauer hatte nicht gelogen, ich fand tatsächlich die Stelle, wo ich nach links einbiegen mußte. Ein Weg, mehr ein Pfad, der aber befahren sein mußte, denn auf dem weichen Boden hoben sich deutlich die Abdrücke von Reifen ab.
Das Gras wuchs fast kniehoch, und es wurde von den Rädern des Bentley plattgewalzt. Eine typische Sumpfgegend lag vor mir. Flach, braun, dunkelgrün. Ich sah nur wenige Bäume, und wenn, dann waren sie schief gewachsen und wirkten irgendwie verkrüppelt.
Das Gebiet war ziemlich groß, vom Fluß sah ich nichts, und ich war gespannt, wo mich diese Miranda erwarten würde.
Der Nachmittag näherte sich seinem Ende. Es wurde ein wenig dunkler.
Möglicherweise lag es auch an den dicken Wolkenschichten, die über den so weit wirkenden Himmel segelten, weil der Wind sie vor sich hertrieb. Dazwischen schimmerte ein helles Blau fast verschüchtert, denn die düsteren Berge deckten es immer wieder zu.
Der Wind fuhr auch über das Moor. Er kämmte die Gräser, ließ sie wehen und brachte auch den Geruch des Brakwassers mit sowie einen gewissen Gestank, der mich an sterbende Pflanzen, Fäulnis und an Friedhof erinnerte.
Über die Unebenheiten des Weges schaukelte der Bentley hinweg, und seine Reifen schmatzten über die weiche Erde.
Ich war allein.
So weit mein Blick auch reichte, kein Mensch befand sich in der Nähe, und auch von dieser Miranda sah ich nichts. Allmählich veränderte die Umgebung auch ihr Gesicht. Die Farbe blieb zwar die gleiche, dieses Braun und dunkle Grün wechselten sich ständig ab, aber die Pflanzenwelt nahm ein anderes Gesicht an. Bäume rückten näher.
Hin und wieder standen sie auf kleinen aus dem Boden ragenden Inseln, die mich an grüne Buckel erinnerten, und ihre oftmals blatt- und laublosen Äste wirkten wie die abgestorbenen Arme irgendwelcher vorsintflutlicher Monstren.
Auch wenn es so wirkte, der Sumpf war nicht tot. Er lebte. Einen kleinen Vorgeschmack bekam ich davon, als rechts von mir ein Schwärm Vögel in die Luft stieg und zum Fluß flog.
Ich konzentrierte mich auf das Fahren und ging sehr vorsichtig mit dem Gas um. Auf diesem weichen, nachgiebigen Boden durfte ich keinesfalls übermütig werden.
Plötzlich war sie da.
Ich hatte zwangsläufig nach vorn geschaut und nicht auf die Bäume geachtet, aber in einer dieser Astgabeln hatte sie gesessen und sich blitzschnell fallenlassen.
Sie stand vor meinem Wagen, hatte mich so erschreckt, daß ich sie mit dem Bentley noch fast berührt hätte. Wäre sie häßlich gewesen, hätte ich sie als eine Vogelscheuche bezeichnen können, denn so stand sie da mit ihren ausgestreckten Armen, als könnte sie durch diese Geste den schweren Wagen stoppen.
Jetzt nahm ich mir Zeit, denn ich wollte mir das Mädchen so genau ansehen wie eben möglich.
Es war tatsächlich die Kleine aus meinem Traum. Ich schaute besonders deutlich in ihr Gesicht, sah dort die gleichen, manchmal sehr weich wirkenden Züge und auch die Augen mit den grünen Pupillen, die sich auf die gebogene Frontscheibe des Silbergrauen richteten, um ins Wageninnere sehen zu können.
Normalerweise hätte sie eine dem Sumpf entsprechende Kleidung tragen müssen, was nicht der Fall war. Sie trug ein blau-weiß gestreiftes Schürzenkleid, das in der Taille durch einen Gürtel gehalten wurde und die Schlankheit der Figur noch unterstrich. Der Wind spielte mit ihrem Haar und wehte die blonden Strähnen zu beiden Seiten des Gesichts in die Höhe.
Ich öffnete die rechte Tür, um auszusteigen und hatte sie kaum zur Hälfte offen, da sprach das Mädchen schon gegen. »Nein, lassen Sie, Mr. Sinclair, ich werde zu Ihnen kommen.«
»Bitte.«
Als Kavalier stieß ich auch die Beifahrertür auf und ließ Miranda einsteigen. Sie warf mir einen forschenden Blick zu und hämmerte den Wagenschlag ins Schloß.
»Zufrieden?«
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