Miras Welt (Mira und Melissa) (German Edition)
Intensivstation schon immer Schatten bei den Sterbenden gesehen hatte.
An diesem Tag lächelte Martin entspannt im Schlaf und es war eine so feierliche Stimmung in seinem Zimmer, die ich leicht wahrnehmen konnte. Ich bin sicher, "SIE", seine Engel, zeigten ihm schon eine Aussicht in den Himmel.
Wir hielten seine Hände. Ich übergab seine Seele aus meiner Hand an Gottes Hand. So steht es auch auf seinem Grabstein. Nicht: IN Gottes Hand, sondern AN Gottes Hand, so wie ein Kind an der Hand der Eltern geht.
Seine letzten Worte waren:
„Ich kann nicht mehr.“
Die Pflegerin des Hospizes brachte eine Kerze und zündete sie an, meine Freundin öffnete nach altem Brauchtum die Terrassentür, damit die Seele "leichter aufsteigen könne". Ich küsste seine Lippen und seine Stirn. Ein allerletztes Mal. Dann zogen wir ihm seine Lieblingskleidung an, hängten seinen Beutel mit den Heilsteinen um seinen Hals und legten in seine Hand eine Engel-Figur. Er sollte mit Martin zusammen in den Himmel fliegen.
Mir war beim Lesen ganz kalt geworden. Es war spät geworden, aber ich hatte nicht mit Lesen aufhören können. Das Buch wies noch viele mehr Seiten auf, ich überflog sie kurz. Mira erzählte von der Trauer und deren Bewältigung, aber ich wollte nicht mehr weiterlesen, sondern fuhr nach Hause.
Wenn Engel vor Freude tanzen…
Am Vorabend des 23. September waren vier von Miras Freunden im Haus, um das Fest vorzubereiten. Klara war gekommen und Joachim der Harfenist, auch die Zwillingsbrüder Torsten und Torben, beide in der Fachwelt hochgeachtete Astrologen.
Während Mira und Joachim in der Küche Vorbereitungen für das morgige Büffet trafen, bereiteten die Zwillinge und Klara das Wohnzimmer und die Diele vor. Sie putzten zu Ehren des Anlasses Fenster und Fußböden, räumten die Sitzmöbel um und stellten den stabilen Bierzelttisch auf, den sie mit schönen Tüchern und gestickten Tischbändern zu einer Festtafel machten. In der Diele stellten sie den traditionellen „Tisch der Engel“ auf. Dieser Tisch wurde besonders sorgfältig und liebevoll geschmückt. Klara hatte die Aufgabe übernommen, die Blumengirlande zu binden. Miras Garten gab so viel her. Sie wählte die violetten Strauchastern, das Septemberkraut, die letzten Rosen, dann noch die Rispen des Federmohns und viel Sonnenhut. Lavendel, Salbei und Frauenmantel rundeten das Bild ab. Eine etwas eigenwillige Komposition, aber warum nicht? Die Girlande kam dann über Nacht in die Badewanne mit etwas Wasser zum Frischhalten. Klara würde heute Nacht im Gästezimmer schlafen und zum Beginn der Blauen Stunde (6:39-7:10 Uhr) aufstehen, der Sonnenaufgang würde um 7:11 Uhr erfolgen. Weil Miras Haustür nach Osten ausgerichtet war, würde der erste Sonnenstrahl die Girlande segnen und diese damit den ganzen Tag über an jeden Menschen, der durch diese Tür ein- und ausschritt, den Sonnensegen weitergeben.
Am Abend würden sich dann alle Gruppenmitglieder nach Sonnenuntergang um 19 Uhr 20 vor der Tür versammeln, ein letztes Dankgebet sprechen und die Girlande abnehmen. Im Lauf der Jahre hatten sie ihre kleinen, eigenen Traditionen entwickelt und hielten mit Freude daran fest.
Joachim war Hobbykoch und stand Mira in seinen Fähigkeiten in nichts nach. Während Mira ihren Pfirsich-Mandel-Kuchen buk, bereitete er die Metaxa-Marinade für die „Sufklakischnitzelchen“ vor. In einem Gefrierbeutel mischte er Olivenöl, Zitronenöl, etwas Chili, frische Thymianzweige, dazu Bergbohnenkraut und einen kräftigen Schuss Metaxa. Dann legte er kleine Schweineschnitzel hinein, verschloss die Tüte mit einem Clip und legte sie in den Kühlschrank über Nacht.
Die Pellkartoffeln für den Kartoffelsalat „nach griechischer Art“ waren inzwischen ausgekühlt und ließen sich rasch abpellen. Ein schlichtes Rezept, aber sehr schmackhaft. Weil Klara unter einer Fruchtzuckerunverträglichkeit litt, würde er ihn mit Reisessig und Zitronensaft abschmecken, denn andere Essigsorten machten sie krank.
Auf dem Plan fürs Büffet standen noch die Kürbissuppe mit Ananas und Ingwer, gedrehte Blätterteigstangen, Würstchen im Blätterteig, in Butter gebratene Austernpilze, mit Sesam panierte und gebratene Räuchertofu-Scheiben, dazu wurde Frühlingsdippsoße und Sojasoße gereicht. Was noch? Joachim schaute auf Miras Notizen. Ach ja, Dönertaschen mit Huhn. Nicht wirklich das „klassische Dönerrezept“, aber dennoch gut. Die meisten dieser Speisen würde er erst morgen
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