Miss Emergency
Geländer ein blitzendes Rennrad angeschlossen ist. An der »Manu Ritter«-Tür kleben alte Hanuta FuÃballbilder. Hm. »Manu Ritter« klingt ein wenig nach Nagelstudio. Und geht er immer mit seinen Hanutapapierchen vor die Tür und guckt, ob er schon einen Thomas Müller hat? Mann, Lena, jetzt geh doch erst mal rein, bevor du alles vorverurteilst! Die Tür steht offen. Ich klopfe und betrete den schmalen Flur.
Nach der Kindheitsphase VOR der Tür beginnt HINTER der Wohnungstür die Pubertät. Der Flur ist bunt gestrichen, an einer Wand hängt ein halber Sportbekleidungsladen an überdimensionierten Haken, darunter liegen Turnschuhe auf einem wilden Haufen. Auf der anderen Seite kleben um einen Spiegelherum zahllose Postkarten, vorwiegend mit witzigen Sprüchen, und Fotos von Radfahrergruppen. Bevor ich eine Postkarte, auf deren Bildseite i miss u steht, umdrehen kann, um einen Blick auf den Text zu werfen â es hat ja Vorteile, wenn der Besuchte nicht aufstehen kann â, ruft Manuel »Hierher, Frau Doktor!«.
Ich werfe nur einen Blick auf die Unterschrift (Janine, mit Herzchen als i-Punkt) und trete ins Wohnzimmer durch. Nach der Pubertät im Flur erwarte ich jetzt ein erwachsenes Zimmer, doch diese Phase hat Manuel übersprungen; im Wohnzimmer beginnt sofort das Alter. Die Möbel sind wohl von Oma. Da helfen auch die darübergebreiteten Tücher nichts, einen DDR-80er-Jahre-Sessel kann man nur in einen angenehmen Anblick verwandeln, wenn man ihn vor einen Container stellt. Komm schon, Lena, Manuels Einrichtung hat zwar keinen Stil, aber wenigstens Charakter. Die Schwedische-Lacktischchen-Dichte in Jungmännerwohnungen ist hoch genug. (Schon mal aufgefallen? Die vehementesten Uniform-Verächter haben alle die gleiche Ikea-Lampe zu Hause.)
Manuel liegt auf der Couch und strahlt mich an. »Na?«
»Na?«, antworte ich. Plötzlich macht sich doch Verlegenheit breit. Der Umgang miteinander ist nicht mehr ganz so einfach, wenn es keine Regeln mehr gibt â wenn nicht jemand die Ãrztin ist, die das Sagen hat, und jemand anderer der Patient, der still liegen muss.
Manuel lacht mich an. »Na, wünschst du dir deinen Kittel und dein Bestimmer-Klemmbrett?«
Klar. Warum ist bei mir eigentlich nicht von vornherein eine Stimme installiert, die meine Gedanken laut ausspricht? (Wenn ich wählen darf, bitte eine dunkle Synchronsprecher-Männerstimme, die auch dem banalsten Gedanken einen Hauch von tiefer Bedeutung verleiht.) Jetzt setz dich, Lena, und sei endlich locker!
»Nette Wohnung«, sage ich und rutsche in den Sessel neben Manuels Couch.
Er lächelt. »Eigentlich habe ich ein Loft an der Spree. Ich binnur momentan hier, weil die Bude gerade klein genug ist für jemanden, der nicht viel laufen darf.«
Na also. Mit Flapsigkeit lässt sich alles regeln; meine Lockerheit ist wiederhergestellt.
»Liegst du den ganzen Tag hier auf der Couch?«, frage ich â und, ach wie befriedigend, er antwortet so berechenbar, genau was ich erwarte.
»Normalerweise liege ich nebenan im Bett. Aber das zeige ich dir erst später.«
Alles klar, er ist immer noch derselbe Spinner, bloà ohne Krankenhausbett und Kanüle im Arm.
Wenn ich Manuel so ansehe, wie er sich da lässig auf der Couch ausstreckt und mich angrinst, gefällt er mir ziemlich gut. Was verwunderlich ist, weil er erstens eine Art Trainingsanzug trägt und zweitens nackte FüÃe hat. Beides Dinge, die ich bei Männern in der Regel unattraktiv finde. Ist Manuels Trainingsanzug tatsächlich so gut geschnitten und sind seine Zehen wirklich so ungewöhnlich wohlproportioniert und gepflegt? Oder bin ich verknallt? (Ich halte es für ein ziemlich sicheres Zeichen von Verknalltsein, wenn einem die Zehen eines Mannes gefallen.)
»Gut, dass du da bist«, unterbricht Manuel mein Sinnieren. »Du musst unser Date arrangieren. Geh mal in die Küche und koch uns was Schönes.« Er grinst, ich halte seinem Blick stand, an unserer typischen Schlagabtauschpraxis hat sich also nichts geändert.
»Ich bin nicht so hungrig, dass ich bei dir kochen muss«, lächle ich unschuldig. »Ich darf mich ja uneingeschränkt bewegen, also kann ich nachher zu jeder einzelnen Dönerbude Berlins laufen, wenn ich will.«
»Ach, du erwartest Döner zu einem ersten Date?«, fragt er amüsiert. »Kein Wunder, dass du Single
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