Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Miss Emergency

Miss Emergency

Titel: Miss Emergency Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Rothe-Liermann
Vom Netzwerk:
Frühstück vor, bestückt den Glastresen und kocht nebenbei die Kartoffeln für das Mittagessen. Seine Bewegungen sind ruhig und wirken langsam, dabei tut er so viele Dinge gleichzeitig. Zwischendurch legt er mir Kleinigkeiten auf einen Teller, ein Stückchen Kuchen, eine halbe Mandarine, eine Scheibe Schinken. Ich esse geistesabwesend.
    Â»Sag mal«, frage ich irgendwann, »wer ist diese Dr. Al-Sayed eigentlich?«
    Ruben hält inne. »Das ist die Millionenfrage, Schatz. Das weiß nicht mal ich.«
    Ich verstehe nicht. Ruben zuckt mit den Schultern. »Man weiß, dass sie in Syrien geboren ist, in ganz Europa gelebt hat und sechs Sprachen spricht. Aber das ist alles.« Er nippt an seinemKaffee, dann schmunzelt er. »Oder willst du auch den Klatsch hören?«
    Ich nicke. Ruben lächelt geheimnisvoll. »Angeblich hat sie nicht nur die ganze Welt bereist, sondern auch haarsträubende Abenteuer erlebt. Es heißt, sie hat bei den Aborigines gelebt, ist mal in Palästina entführt worden und hat angeblich in Sumatra eigenhändig einen Tiger erlegt, dessen Fell bei ihr vor dem Kamin liegen soll.«
    Ich bin sprachlos. Aber auch ungläubig. Ruben zuckt die Schultern. »Man weiß nicht, was davon wahr ist. Aber zutrauen würde ich ihr fast alles. Sie ist absolut kaltblütig. Und lässt sich von niemandem etwas sagen.«
    Ich erzähle von meiner Begegnung mit Dr. Al-Sayed. Ruben lächelt. »Glückskind. Normalerweise spricht sie nur das Nötigste.«
    Den Vormittag über funktioniere ich einfach nur. Ich gehe meine Runde, nehme zwei Patienten auf, eine Nephritis und eine Anämie. Für beide brauche ich zwar mehr als 30 Minuten, aber keine Stunde mehr. Dr. Ross, der ich morgens kurz auf dem Flur begegne, nickt mir zu. »Wird schon.« Ich bin ganz unverhältnismäßig dankbar. »Manche wachen ja wieder auf«, hängt sie an und lächelt. Ich werde mich nie an ihren Humor gewöhnen, aber heute rege ich mich jedenfalls nicht mehr darüber auf. Ich bin in einer seltsam abgeklärten Stimmung. Ungerührt.
    Meine Mitbewohnerinnen habe ich heute noch nicht gesehen. Ich bin ihnen wohl auch aus dem Weg gegangen. Isa findet mich kurz vor der Pause, sagt, dass sie mich überall gesucht hat.
    Â»Es tut mir so leid«, flüstert sie. Sie hat mir einen Pullover mitgebracht und fragt, ob ich wenigstens zum Essen komme. Beim Mittagessen sitzen wir uns still gegenüber. Auch Jenny ist da, schweigt ebenfalls. Ich fühle mich einsam. Vielleicht liegt das an dem Streit. Man kann plötzlich nicht mehr so unbefangen drauflosreden. Aber vielleicht wüsste ich auch sonst nicht, wie ich über die letzte Nacht sprechen sollte. Jenny isst nichts. Ich frage, ob schon etwas entschieden ist. Sie zuckt die Achseln.
    Â»Was wird denn jetzt aus ihr?«, fragt in dem Moment auch die kleine Tanja am Schwesterntisch.
    Schwester Klaras Stimme ist durchdringend. »Dr. Kreuz ist unglaublich wütend. Wahrscheinlich wird sie rausgeworfen.«
    Jennys Schultern fallen noch ein bisschen mehr ein. Aber sie erwidert nichts. Irgendwann stehe ich einfach auf und verlasse die Cafeteria.
    Bei der Visite bin ich routiniert. Ich erkläre Herrn Schwendler, meiner Virusmyokarditis, die Laborwerte und die Medikation. Per Langzeit-EKG wird sein Herz überwacht. Es sieht aus, als könne er alles gut überstehen, wenn er sich absolut schont. Schwendler ist so ein korrekter Typ, den werde ich sicher nicht bewachen müssen, damit er nicht heimlich aufsteht. Ich wollte Manuel gestern noch anrufen. Vergessen. Die Visite geht weiter. Ich bin immer noch nicht müde.
    Bei Jennys Patientin Paula Schwab führt Dr. Ross die Visite durch. Niemand fragt nach, offenbar wissen alle schon Bescheid. Jenny steht daneben, sagt gar nichts. Nicht einmal, als Dr. Ross eine Frage in die Runde stellt, die Jenny als Paulas betreuende PJlerin garantiert beantworten könnte. Es bleibt kurz still, als erwarteten alle, dass Jenny antwortet. Sie tut es nicht. Dr. Ross fordert schließlich Marie-Luise auf. Die tut es. Ich habe Mitleid mit Jenny. Trotz aller Tricks, mit denen sie sich das PJ erleichtert hat, hatte ich immer das Gefühl, dass sie das hier gerne macht. Das sie wirklich gern als Ärztin arbeiten möchte. Vielleicht sollte ich mit ihr tauschen.
    Zum Feierabend beschließe ich, nicht nach Hause zu gehen. Was soll ich da? Ich will nicht wieder die

Weitere Kostenlose Bücher