Miss Emergency Bd. 3 - Liebe auf Rezept
handtuchschmalen, betoneingefassten »Vorgarten« steht nur ein einziges, auf der Freifläche vor dem Supermarkt an der Ecke aber drängen sie sich dicht an dicht.
»Winter ade«, sagt Isa. »Endlich wieder klar denken!«
Sie will, dass Jenny ihren Felix-Rausschmiss rückgängig macht. Ich glaube aber irgendwie nicht, dass das Spätfebruar-Morgenlicht und die Schneeglöckchendichte da helfen können.
Doch wenigstens beruflich scheint sich die Frühlingsharmonie fortzusetzen. Die erste Untersuchung des heutigen Tages ist eine wahre Erleichterung. Stella Heinze wartet schon auf mich, ihr Blick ist gelöster als gestern, die Angst ist fast verschwunden.
»Wie geht es Korbinian?«, frage ich und erfahre, dass er die Nacht über ziemlich ruhig war. Ich lasse das CTG schreiben und ahne doch schon, dass es heute keinen Grund zur Beunruhigung geben wird. Während der Drucker seine Kurven produziert, unterhält sich Frau Heinze sogar entspannt mit mir.
Korbinians CTG ist in Ordnung. Ich darf die Patientin verabschieden. »Wir sehen uns in ein paar Wochen«, sage ich, als ich ihr die Hand gebe. Dann lege ich die Hand auf ihren Bauch und sage: »Und wir auch, Korbinian.«
Frau Heinze lacht. Das war ja immerhin auch besser als ein gewisser Leistungssportlerwitz.
Bei der Visite ist Jenny aufgedreht wie selten. Sie stellt ihre Patienten mit einem Überschwang vor, der auch Dr. Seidler verwirrt. Jenny hat zwei neue Patientinnen: eine Dame in den Dreißigern, die zu Sterilisationszwecken ihre Eileiter unterbinden lassen will, und eine junge Frau, der eine Zyste entfernt werden muss. Jenny lacht und scherzt mit den beiden und geht wie selbstverständlich davon aus, dass sie bei den Eingriffen assistiert.
Auf dem Flur mustert Dr. Seidler meine Freundin durchdringend. »Ich weiß nicht, ob Sie heute besonders fröhlich sind – oder irgendwas ganz Blödes mit sich herumtragen. Aber bevor Sie assistieren, sollten Sie sich dringend etwas herunterkühlen.« Sie wartet wie immer keine Antwort ab.
»Da ist man einmal fröhlich«, faucht Jenny mir beleidigt zu, »und dann so was!«
Aber sie sieht mich nicht an dabei. Denn ich weiß genau, dass Dr. Seidler mit ihrer anderen Vermutung viel richtiger lag.
Unser nächster Besuch gilt Frau Fahn, meiner Patientin mit dem Ovarialtumor. Sie sieht müde aus, so viel älter als gestern. Ich bin unsicher, ob wirklich ich das Gespräch übernehmen soll. Denn die winzige Hoffnung, die Frau Fahn gestern vielleicht noch hatte, scheint über Nacht erloschen zu sein. Dr. Seidler nickt mir zu.
»Sie werden einen Psychologen zur Seite gestellt bekommen«, beginne ich.
»Was soll der noch?«, fragt Frau Fahn tonlos. »Ich bin ein Wrack.«
Dr. Seidler versucht, sachlich zu bleiben. Die Überlebenschancen können immer noch recht gut stehen, wenn das befallene Gewebe komplett entfernt wird. Frau Fahn wird sich anschließend einer Chemotherapie unterziehen. Doch sie hört nicht mehr zu. Und auch an mir rauscht Dr. Seidlers beruhigende Stimme einfach vorbei. Die mögliche endgültige Diagnose kann sie nicht kleinreden. Niemand kann das wegreden.
Ich sehe den Nachmittag über immer wieder in Frau Fahns Zimmer. Sie hat Besuch von einem Psychologen bekommen.Sie hat mit ihren Freunden telefoniert. Doch fassen kann sie es immer noch nicht, obwohl sie es doch längst wusste.
Nachdem ich meine Wagenrunde gedreht habe, setze ich mich noch für einen Moment an ihr Bett. Ich kann ihr nichts sagen, kann nichts tun, was nicht andere besser könnten. Der Psychologe, ihre Freunde. Doch ich will sie nicht allein lassen.
»Wissen Sie«, sagt sie nach einer Weile, »ich habe immer alles durchgekämpft. Meine Trennung, meine Scheidung. Ich habe eine brutale Depression überstanden. Und jetzt hab ich das Gefühl, es war alles umsonst.«
Was bleibt mir zu sagen? Ich kann nur versuchen, ihr Hoffnung zu machen. Und weiß doch nicht, womit.
»Vielleicht ist das jetzt der wichtigste Kampf Ihres Lebens«, sage ich schließlich. »Vielleicht waren die anderen nur dafür da, dass Sie jetzt stark genug sind?«
Endlich sieht sie mich an.
»Vielleicht …«, sagt sie.
Und dann, nach einer Weile: »Danke.«
Ich weiß nicht, wofür. So hilflos wie hier habe ich mich noch nie gefühlt.
Nach dem Gespräch habe ich ein Bedürfnis nach frischer Luft, als hätte ich die letzte halbe Stunde durch eine Plastiktüte atmen müssen. Nur raus hier. Ich fühle mich, als hätte ich Frau Fahn irgendwie betrogen. Weil sie sich
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