Miss Emergency
Weissenbach. Keine Anfängerstunde.« Ich nicke eilig, das ist mir klar. »Lass sie warnen, das muss sie doch«, sagt die Stimme in meinem Kopf. »Sie kann ja nicht einfach sagen: Hier, hurra, ein Bypass und viel Spaß!« Ich merke, dass ich bereit bin, mir die OP jede Menge Ermahnungen kosten zu lassen. Meinetwegen kann sie auch eine fünfzehnseitige schriftliche Anerkennung ihrer Risikoaufklärung verlangen, ich würde es tun. Ich will diese OP.
Aber ich habe mich getäuscht. Es geht ihr nicht darum, mir klarzumachen, dass das etwas ganz Besonderes ist und ihr wohlwollendes Gönnen verlangt. Es folgt etwas anderes. »Dass Sie als Anfängerin ohne jede Profilierung eine solche OP bekommen sollen, ist allgemein auf Unmut und Unverständnis gestoßen«, sagt Dr. Thiersch und klingt fast bedauernd. BEI WEM? Wer hat das gesagt? Ich bin sprachlos. Dr. Thiersch erklärt nicht, von wem die Rede ist. »Sie sehen sicher ein«, sagt sie stattdessen, »dass Sie nicht erfahren genug sind und das leichtsinnig und unberechtigt wäre.«
Als ich wieder auf dem Flur stehe, sind zwei Dinge glasklar: Ich werde bei Professor Dehmels OP nicht assistieren. Und irgendjemand von meinen Kollegen war sich nicht zu schade, bei der Oberärztin gegen mich vorzusprechen. Ich weiß nicht, was mich mehr kränkt. Ich fühle mich leer, enttäuscht, völlig erledigt. Ich verlasse die Klinik eilig, angetrieben von der Vorstellung, jetzt noch einen der Kollegen auf dem Gang zu treffen und argwöhnen zu müssen, ich würde diese Niederlage ihm verdanken. Ich springe eilig in den Fahrstuhl. Nur weg hier.
Da ist noch was: Ich habe mich nicht gewehrt. Ich habe genickt, vor Enttäuschung wortlos, und bin gegangen. Aus dem Büro geschlichen wie ein Schaf.
»Diese gemeine Kuh«, tobt Jenny; es ist wenigstens ein kleiner Trost, dass sie bei so was immer noch wütender wird als ich selbst. »Rufschädigend ist das! Sie hemmt unsere Entwicklung mit ihrer Eitelkeit! Ihre Lieblinge sammeln ihre Mappen voll und wir dürfen den ganzen Tag nur Wagen rumschieben!«
Es ist gut, dass sie so aufdreht, fast hätte Dr. Thierschs Absage wieder den kleinen Zweifelsfeigling in mir geweckt. Dass ich ja wirklich noch Anfängerin bin, wischt Jenny mit einer energischen Handbewegung beiseite. So wie meine Freundin es darstellt, könnte ich ein Gott am Skalpell sein und würde trotzdem keine Chance bekommen, solange ich kein Mann werde oder wenigstens doppelt so viel wiege wie die Oberärztin.
Isa ist ein wenig vorsichtiger, klar, sie hat heute ihre vierte OP bestreiten dürfen und ist auf dem besten Weg, die Vorzeigeassistentin zu werden. Natürlich findet sie es auch schrecklich unfair, dass ich die Bypass-OP nicht bekomme – mehr beschäftigt sie allerdings die Frage, wer bei Dr. Thiersch gegen mich gesprochen hat.
»Vielleicht müssen wir auch so werden?«, fragt sie furchtsam. »Vielleicht sollten wir uns auch einen verbündeten Arzt suchen, der uns OPs zuschiebt und die anderen beiseitedrängt?« Sie sieht uns ratlos an. Wir sind sprachlos, der Vorschlag passt absolut nicht zu der sanften Isa. »Leider weiß ich überhaupt nicht, wie man so was macht …«, setzt sie gleich hinterher – und das hört sich glücklicherweise wieder mehr nach Isa an.
»Das haben wir doch wohl nicht nötig«, empört sich Jenny. »Wir überzeugen durch ganz andere Werte. Aber den Kopf waschen sollte man der Eisprinzessin trotzdem – und den verlogenen Kollegen erst recht!« Das kann ich nicht, ich fühle mich einfach nur ausgebremst.
»Wenn ich das nächste Mal eingeteilt werde«, schlägt Isa vor, »könnte ich ablehnen und stattdessen dich vorschlagen.« Aber das weise ich ebenso entschieden zurück. Ich werde doch nicht meiner treuen Freundin die schwer verdienten OPs abnehmen!
Jennys Verarbeitungsidee ist typisch; sie hält eine Shoppingtourmit anschließendem Barbesuch für die beste Ablenkungsstrategie. Aber mir steht der Sinn nach etwas anderem. Anlehnen. Getröstet werden. Von jemandem, der vielleicht nicht nur aus freundschaftlicher Loyalität findet, dass ich eine gute Ärztin bin, die eine OP verdient hat und meistern könnte …
Isa und Jenny haben Verständnis, nicht nur weil ich so geknickt bin – und ich gelobe hoch und heilig, das Wochenende mit ihnen zu verbringen, bevor ich mich auf den Weg zu dem grünen Wagen mache, der für mich in den vergangenen Wochen zu einem Synonym für Geborgenheit geworden ist.
Ich lehne an Tobias’ Auto, heute ist mir ganz
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