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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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Déprez. Zumindest war es schwerer, sich das bei ihm vorzustellen, und er empfände bestimmt wenig Sympathie für jemanden, der selbst nicht fehlerlos war. Captain Holland dagegen machte einen Fehler nach dem anderen oder wusste ständig etwas nicht. Menschen, die nicht so perfekt waren, machten es einem leichter, sich ihnen anzuvertrauen, solange sie nicht derart viele Makel aufwiesen, dass sie einem dumm oder unzuverlässig vorkamen. »Und ein Engländer, der darin verwickelt ist …«, sagte sie, als ob sie die ganze Zeit weitergeredet hätte, »jeder, der mitgeholfen hat, Informationen an die Franzosen weiterzuleiten … wäre dann ein Spion?«
    Holland wollte schon antworten, doch sie fügte noch schnell hinzu: »Die Dokumente waren im Besitz meines Onkels. Deshalb muss er irgendwie in die Sache verwickelt gewesen sein.«
    Dieses Eingeständnis war für Mary fast so schmerzhaft, wie den Verband von einer schwärenden Wunde zu reißen. Aber nur so konnten all das Ungewisse und die heimlichen Ängste, die ihre Gedanken seit Tagen vergifteten, ans Licht kommen. Ihre Worte veranlassten Holland, auch wieder aktiver an der Unterhaltung teilzunehmen.
    »Ihr Onkel? Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Aber möglicherweise … wusste er nicht, was die Dokumente enthielten. Schließlich waren sie verschlüsselt.«
    Draußen regnete es beständig, und der eiskalte Wind blies die halb offen stehende Stalltür auf. Drinnen konnte man den eigenen Atem sehen. »Aber er muss befürchtet haben, dass da etwas nicht stimmt. Dass im Krieg verschlüsselte Botschaften weitergegeben werden … davon muss er gewusst haben.« Mary ballte ihre Hände zu Fäusten und blickte starr nach unten. Er musste ihr Eingeständnis mit allen furchtbaren Implikationen annehmen. Niemand durfte es wegdiskutieren. Das hatte sie selbst schon versucht. Es funktionierte nicht.
    Holland sagte nichts dazu, und nach einer langen Stille fuhr sie fort: »Ich war so wütend und gedemütigt, weil es so ungerecht ist und … weil ich mich frage, was die Leute wohl über mich denken werden, sobald sie wissen, was er getan hat.«
    Holland runzelte die Stirn. »Was hat das denn mit Ihnen zu tun? Und außerdem haben Sie die Dokumente entschlüsselt. Wenn Sie nicht gewesen wären...«
    »Aber er war doch mein Onkel . Wenn man so jemanden - einen Spion - als einzigen Verwandten hat, dann kann man sich doch vorstellen, was die Leute sagen werden. Wer anständig ist...«
    »Und seine Nase ständig in die Angelegenheiten anderer Leute steckt.«
    »Nun, wenn irgendetwas merkwürdig oder komisch oder … niederträchtig ist, gibt es einfach Gerede«, meinte Mary. »Aber das ist es nicht allein. Ich habe mich gefragt - bitte halten Sie mich jetzt nicht für gewinnsüchtig -, aber stimmt es nicht, dass jemand, der Verrat begangen hat, ›Verlust von Hab und Gut‹ erleidet, sodass sein Eigentum von der Krone beschlagnahmt wird und nicht an die Erben fällt?«
    Holland atmete tief durch. » Ich habe davon keine Ahnung.«
    »Als man mir sagte, ich würde von meinem Onkel etwas erben, konnte ich es erst kaum glauben. Es war wie aus einer Geschichte, aber nicht aus dem wirklichen Leben - fast wie in einem Märchen -, weil wir nie wohlhabend waren, und in letzter Zeit … Aber dann gewöhnte ich mich mehr und mehr an den Gedanken. Daran, dass mein Onkel sich versöhnen wollte - er hat meinem Vater alles vererbt, müssen Sie wissen -, dass Mrs. Tipton über ›die bessere Gesellschaft der Grafschaft‹ sprach und daran, mich neu einzukleiden. Ich begann mir vorzustellen, auf White Ladies zu wohnen, Empfänge zu geben und Freunde bei mir übernachten zu lassen, als ob ich dies tatsächlich tun würde. Und ich fing an, Dingen Beachtung zu schenken, Vergleiche anzustellen und mir vorzustellen, dass ich so eine Art von Kutsche haben wollte, aber nicht so eine Anrichte. Es war nicht etwas, das in einer Fantasiegeschichte passiert, sondern was ich wirklich täte, sobald ich mein Erbe erhalte. Das war natürlich sehr töricht von mir, ich weiß, aber...«
    »Aber nein«, meinte Holland und schüttelte den Kopf. »Wenn man Geld hat, macht das einen verdammt großen Unterschied. Es wäre töricht gewesen, nicht darüber nachzudenken.« Kurz darauf fügte er noch hinzu: »Ich tue das auch ständig.«
    »Nun, nachdem ich die Dokumente entdeckt hatte, habe ich mich gefragt, wie viel von meinem Erbe wohl von … kriminellen Machenschaften herrührt, und ich hatte ein furchtbar schlechtes

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