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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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könnte , ohne deren Inhalt verstanden zu haben. Es war ja nicht auszuschließen, dass jemand so wenig Neugier an den Tag legte, obgleich Mary sich dies nicht vorzustellen vermochte. Hicks gab zu bedenken, es könnte sich um geheime Informationen handeln, und es wäre sinnlos, mit einer Verschlüsselung zu arbeiten, wenn jeder der Beteiligten wusste, was sie enthielten. »Nein«, schlussfolgerte er, »ich bin davon überzeugt, man hat die Kerle alle angeheuert und großzügig entlohnt, damit sie tun, was ihnen befohlen wird, ohne etwas über den Inhalt der Dokumente zu wissen.«
    Bei den Worten »angeheuert« und »großzügig entlohnt« schlug Marys Herz unbehaglich schnell, und sie musste sich räuspern, bevor sie antwortete: »Hm-m. Vermutlich.«
    »Wissen Sie, manchmal entscheiden sich Leute dafür, nicht zu viel nachzudenken«, fuhr Hicks fort. Seine Aufregung angesichts Marys plötzlichem Auftauchen hatte sich derweil gelegt. Nun sprach er wieder ruhiger. »Wenn die sich einmal entschlossen haben, etwas zu tun, dann lassen die sich das nicht mehr ausreden. Manchmal hören sie überhaupt nicht mehr zu, aus Angst, die Nerven zu verlieren.«
    »Ja«, Mary hielt inne. Noch vor wenigen Minuten war ihre Entdeckung ihr wie eine Katastrophe vorgekommen. Und jetzt, mit einem Mal, stellte sich alles womöglich als vollkommen harmlos heraus. Demnach war ihr Onkel nach wie vor ein Verräter, und alles blieb beim Alten. Die Verschlüsselung funktionierte ja trotz alledem, und Captain Holland war von der Echtheit des Inhalts der Dokumente überzeugt.
    Obgleich sie sich dies insgeheim eingestand, hatte sie gleichwohl das Gefühl, zu schnell aufzugeben.Wenn das Ganze keinen Sinn ergab, brachte es nichts, das Gegenteil zu behaupten, nur um höflich zu sein oder vorzugeben, alles sei in Ordnung. Für sie waren die Fakten unbefriedigend, daher stellte sie Hicks noch weitere Fragen.Was, wenn ein Feind ihres Onkels die Dokumente auf White Ladies zurückgelassen hatte, um sich damit an ihm zu rächen? William Tracey war ein bekannter Verbrecher, und er besaß einen Schlüssel zum Haus. Konnte es nicht sein, dass er die Dokumente bei einem seiner vorherigen Besuche heimlich versteckt hatte? Das würde natürlich die Dokumente selbst in ein bedenkliches Licht rücken. Und was hatte es mit der Angabe bezüglich der Mondkonstellation auf sich? Mary hatte in Mrs. Tiptons Almanach nachgeschaut und wusste, wann der Mond das nächste Mal im ersten Viertel stünde. Aber schien ein Treffen am folgenden Abend nicht merkwürdig günstig?
    Weder die Fragen selbst noch die Reihenfolge, in der Mary sie stellte, folgten irgendeiner Logik, da Mary sagte, was ihr gerade in den Kopf kam, und das weibliche Gehirn, wie Mr. Somerville angemerkt hatte, anders arbeitete als das männliche. Nichtsdestotrotz antwortete Hicks ihr, so gut er konnte. Er bezweifelte, dass jemand bis nach Mr. Finchs Tod gewartet hätte, um sich an ihm zu rächen … Und wofür sollte diese Rache sein? Wenn Mr. Finch nicht in das Schmuggeln der Dokumente involviert war, warum hätte ihm jemand dann dieses Verbrechen unterschieben wollen? Wenn Tracey durch Mr. Finch Schaden genommen hatte, war es dann nicht verwunderlich, dass niemand in Lindham je von ihm gehört hatte? Und aus welchem Grund hätte Mr. Finch überhaupt mit jemandem von solch niederer Herkunft verkehren sollen? Was die angeblich günstige Terminwahl bezüglich des Treffens im Mace & Cells anbelangte, meinte Hicks nur, ihm wäre es lieber gewesen, mehr als zwei Tage Zeit zu haben, um aus dem Hinterhalt einen Angriff auf die Spione zu organisieren. Die ganze Angelegenheit war außerordentlich delikat, und er war sich nicht sicher, ob alles klappen würde.
    Mary zeigte sich erkenntlich für seine Worte. Ihre Angst war eigentlich unbegründet, ließ sich jedoch nicht wegreden. »Ich kann nicht ganz … Es ist alles so … merkwürdig«, murmelte sie schließlich.
    »Es ist in der Tat merkwürdig«, stimmte Hicks ihr zu. Dann schwieg er.
    In Mr. Somervilles Kutsche brauchte man sich nicht festzuhalten, und so starrte sie aus dem Fenster. Von der vorbeiziehenden Landschaft nahm sie zwar Notiz, Einzelheiten wie Farben, Geräusche oder Besonderheiten der Umgebung bekam sie indes nicht mit. Was sie draußen sah, eine vereiste Landschaft und weit und breit kein einziger Hügel, war für Mary völlig nebensächlich. Dieses Gefühl der Isoliertheit trug allerdings nicht dazu bei, ihr einen Entschluss zu erleichtern. Die Stille

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