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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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meisten Aufhebens machte. »Ich habe gehört, dass es dem Verletzten nicht gut geht.«
    »Ja, Sir, traurige Sache. Tracey heißt er, glaube ich.«
    »Er kommt wohl nicht aus der Gegend?«
    »Nein, Sir, er hat nicht gesagt, woher er kommt.«
    »Kennen Sie ihn denn?«
    »Nun, in gewisser Hinsicht tu ich das«, sagte Mr. Bamford. »Die letzten vier Tage saß er genau dort, wo Sie jetzt sitzen. Jeden Tag dasselbe. Setzt sich, bestellt einmal was zu trinken, hält sich den ganzen Nachmittag dran fest und geht dann.War höflich, aber maulfaul.«
    »Dann hat er wohl nicht gesagt, ob er auf jemanden wartet, oder?«
    »Nein, hat er nicht. Nach zwei Tagen hab ich mir aber so was in der Art gedacht.« Aber noch bevor er Genaueres über die Vorkommnisse am zweiten Tag erzählen konnte, lenkte Mr. Bamford das unerwartete Geräusch der aufgehenden Fremdenzimmertür ab. Er schaute über seine Schulter und runzelte die Stirn, als er den im Türrahmen stehenden Mann sah - ein schmächtiger, hohlwangiger Kerl in einem speckigen und viel zu großen Mantel. Bamfords Stirnrunzeln vertiefte sich, als der Neuankömmling die fast leere Gaststube begutachtete und sich dann doch in einen Stuhl fernab vom Kaminfeuer gleiten ließ.
    »Abend«, raunzte Mr. Bamford nicht sehr gastfreundlich. Als dies ohne Wirkung blieb, fuhr er fort: »Ja, ist schon schweinekalt abends draußen, wenn man weder was zu essen noch ein Bett oder Münzen hat, um dafür zu zahlen.«
    »Ich bin kein Bettler nicht«, grummelte der andere, wobei er die Schultern hochzog und gereizt auf seinem Stuhl hin- und herrutschte. »Will nur meine Ruhe haben. Kann man nicht einfach’n bisschen Ruhe und Frieden finden, ohne gleich angepflaumt zu werden?«
    »Das will ich doch hoffen«, entgegnete Mr. Bamford, »und sobald du mir sagst, ob du was zu trinken oder einen Happen zu essen oder ein Nachtlager haben willst, kannst du so viel Frieden und Ruhe haben, wie du willst.« Er durchquerte das Fremdenzimmer und baute sich vor seinem scheuen Gast auf, indem er unerbittlich die Arme vor seiner breiten Brust verschränkte.
    Der kleine Mann blickte kurz nach oben. »Dann nehme ich eben einen Humpen Bier.«
    »Geht in Ordnung«, sagte Mr. Bamford, »dann lass mal ein paar Münzen sehen.«
    Daraufhin trat eine kurze Verzögerung ein, während der Taschen durchsucht wurden und Mr. Bamford immer grimmiger dreinblickte. Zu guter Letzt beförderte er die erforderlichen Münzen auf Mr. Bamfords große ausgestreckte Pranke. Er klimperte kurz damit, schürzte die Lippen und dachte offensichtlich über etwas nach. Dann stapfte er in Richtung Küche davon. Als er kurze Zeit später zurückkehrte, stellte er ein Bier und dazu noch eine Platte mit Brot und Käse vor den Mann hin. Die mürrische Miene des Fremden hellte sich auf, als er einen Moment lang hungrig auf das unerwartete Festmahl blickte.
    »Ich bin Ihnen sehr verbunden, Mister«, murmelte er dann mit einem großen Bissen im Mund.
    »Geht schon klar«, antwortete Mr. Bamford mit einem Achselzucken und wandte sich ab. »Wir hatten noch was übrig. Mehr nicht. Bild dir bloß nicht ein, dass das zur Gewohnheit wird.«
    »Leben und leben lassen«, bemerkte Holland, nachdem der Wirt seinen Platz neben dem Kamin wieder eingenommen hatte.
    »Ja, nun«, gestand Mr. Bamford ein und schüttelte den Kopf. »Landstreicher und zerlumpte Kerle gibt es heutzutage immer mehr. Die meisten kein Stück besser wie eh und je. Und wenn das mit dem verdammten Krieg noch lange so weitergeht, wird es nur noch schlimmer.« Dann erinnerte er sich, wer ihm gegenübersaß, und fügte entschuldigend hinzu: »Krieg bringt harte Zeiten mit sich. Führt dazu, dass so manch einer vom rechten Weg abkommt, und wer schon in der Gosse ist, wird noch schlimmer.«
    Holland stimmte ihm zu, doch nach einer angemessenen Pause kam er wieder auf Tracey zu sprechen. »Sie hatten doch vermutet, er warte auf jemanden.«
    Mr. Bamford hatte dies in der Tat vermutet und fragte sich nun, ob nicht Miss Finch der Grund für Traceys Warten gewesen sein konnte. Immerhin war bekannt, dass sie einen ältlichen Verwandten besuchen wollte.Vielleicht hatte der ihr Tracey entgegengeschickt. Mr. Bamford wurde feierlich zumute, als er über die mysteriöse Vorsehung nachdachte, die diese beiden Menschen unter so tragischen Umständen zusammengeführt hatte. Holland fühlte sich nicht berufen, ein Urteil über die Vorsehung abzugeben, aber er stimmte zu, dass an Mr. Bamfords Interpretation etwas dran

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