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Miss Mary und das geheime Dokument

Titel: Miss Mary und das geheime Dokument Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Melikan Stephanie Kramer
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»Was haben Sie?«, flüsterte sie.
    »Wenn die Luft rein ist, überqueren Sie die Straße, gehen auf der anderen Seite zwanzig Schritte in den Baumbestand hinein und warten dort auf mich.«
    » Auf Sie warten? Aber wo wollen Sie denn hin?«
    »Zurück zu den Ställen. Mit dem Pferd kommen wir wesentlich schneller voran als zu Fuß.«
    »Aber nein«, entfuhr es Mary, und dann drängte sie ihn mit verhaltenerer Stimme: »Aber die werden Sie sicher sehen. Die Männer können überall sein, das haben Sie doch selbst gesagt. Und was ist, wenn sie in den Keller gehen und merken, dass wir geflohen sind? Wir können bestimmt auch ohne Pferd auskommen. Es ist viel zu gefährlich!«
    Da war er anderer Meinung und weigerte sich obendrein, sie mitkommen zu lassen.Vielmehr bekam sie die Anweisung, sich im Farngestrüpp auf den Boden zu kauern und sich nicht zu bewegen, egal was auch passieren mochte .
    Mary versuchte, mit ihm zu diskutieren. Es bedurfte keiner großen Mühe, sich alles mögliche Schreckliche vorzustellen, und abgesehen davon ergab seine Begründung keinen Sinn. Wie konnte er behaupten, es sei nicht gefährlich, zum Versteck der Räuber zurückzukehren? Wenn es andererseits sicher war, warum musste sie dann zurückbleiben? »Aber …«
    »Nein« . Holland warf einen prüfenden Blick in beide Richtungen der Straße. »Machen Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Ich werde im Nu zurück sein. Gehen Sie jetzt!«
    Die Hand auf ihrer Schulter tat etwas, das sich anfühlte wie ein Zwischending zwischen einem Klopfen und einem Schubs. Sie sauste über die Straße und war vor Aufregung so energiegeladen, dass sie sich zurückhalten musste, nicht mehr als die zwanzig Schritte zu tun. Dann kauerte sie sich sofort hin, und sobald ihr Herz ihr nicht mehr bis zum Halse schlug, redete sie sich zu, ruhig zu bleiben. Vergeblich. Beim Auffinden des Tunnels war er so vernünftig gewesen. Er musste auch jetzt wissen, was er tat. Dennoch kam es ihr wie der helle Wahnsinn vor, eine erneute Gefangennahme zu riskieren, wo sie ihnen doch gerade erst entkommen waren!
    Eine dickeWolke zog vor den Mond, und Mary unterdrückte einen Schauer, der nur teilweise in ihrer Angst begründet lag. Ihre Hände und Füße waren nun nicht mehr einfach nur kalt. Sie konnte sie kaum noch spüren. Vorsichtig hockte sie sich zwischen dem Laub und den feuchten Büscheln Farngestrüpp anders hin. Ein leichtes Trappeln von hinten oder - nein, von vorn - ließ sie jäh hochfahren, doch dann stellte sie fest, dass es sich dabei nur um Regentropfen handelte und nicht um jemanden, der sich anschlich.
    Um ihren steifen Rücken zu entlasten, setzte sie sich auf und steckte ihre Hände in die Taschen von Captain Hollands Mantel. Mit den Fingern berührte sie sein Messer, und im Nu befand sie sich im Geiste wieder in den Fängen der Räuber, die sie roh in das Gefängnis im Keller verfrachtet hatten. Sie konnte ihre Stimmen hören, wie sie ihr drohten, und schluckte krampfartig. Wenn die sie nochmals in ihre Gewalt brächten, dann würden sie doch sicher …? Sie zog die Hand vom Messer weg und versuchte, ihre Fantasie im Zaum zu halten. Vergeblich.
    Nichts geschah. Bekanntlich verstreichen die Minuten nur langsam, wenn man auf etwas wartet, aber Captain Holland brauchte doch wirklich sehr lange. Sie vergegenwärtigte sich, dass er besonders wachsam sein musste, weil er zum Versteck ihrer Peiniger vordrang, aber dann hörte sie Schritte. Ihr Herz machte einen erleichterten Satz, doch gleich darauf stellte sie fest, dass das Geräusch - und dieses Mal waren es eindeutig Schritte - aus der falschen Richtung kam. Ob Holland im Kreis gegangen war oder in der Dunkelheit womöglich die falsche Abzweigung genommen hatte? Denkbar war es, aber sicherheitshalber kauerte sie sich wieder nieder.
    Die Schritte kamen immer wieder, und bald konnte Mary undeutlich eine Gestalt erkennen, die auf sie zukam. Was machte der Mann auf diesem einsamen Teil der Straße, in einer so dunklen, rauen Nacht? Ein harmloser Reisender konnte das keinesfalls sein, ganz gleich, wie sehr sie sich das auch wünschte. Sein Gang war zu bedächtig, fast schon heimlichtuerisch, und er trug etwas … Es sah fast aus wie eine gelöschte Laterne. Ein ehrlicher Mann reiste doch sicher nicht freiwillig in der Dunkelheit?
    Als er sich ihr weiter näherte, hielt sie die Luft an. Würde er ihre Gegenwart spüren? Sie schaute jetzt nach unten, um zu verhindern, dass er merkte, wie sie ihn beobachtete. Es musste einer

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