Miss Monster
Sie denn so schnell wissen, daß hier so etwas Furchtbares geschah? Das ist alles noch nicht lange her.«
»Wir wissen es, Brenda, doch für uns gibt es ebenfalls Wege, über die wir nicht reden können.«
»Das verstehe ich.«
Ich legte meine Hände gegen ihre noch feuchten Wangen. »Du brauchst keine Angst zu haben, Brenda, wir…«
»Habe ich aber, Mister Sinclair. Ich habe große Angst. Ich habe doch meine Freundin verraten. Wenn sie erfährt, daß ich es gewesen bin, wird sie auch mich töten. Die ist doch wie von Sinnen, die räumt auf. Die will die ganze Welt hier vernichten. Ich komme da nicht mehr mit. Ich kann sie nicht begreifen.«
»Du hast recht. Aber so weit lassen wir es nicht kommen. Ich möchte nur, daß du uns euer Zimmer zeigst. Wo befindet es sich? Eine Etage höher oder noch weiter oben?«
»Nein, nein, eine Etage höher.«
»Gut, dann gehen wir jetzt hin.«
»Und… und was mache ich?«
»Es reicht, Brenda, wenn du uns das Zimmer zeigst. Alles andere übernehmen wir.«
Sie schaute mich an, hob die Schultern. Sie überlegte, dann nickte sie.
»Okay, ich mache es. Wer weiß denn noch alles, daß Mrs. Paulsen tot ist?«
»Nur wir drei.«
»Ist gut.«
Wir nahmen sie in die Mitte, als wir das Vorzimmer verließen. Unsere Formation behielten wir bei, als wir die Treppe hochgingen. Ich stellte noch eine Frage.
»Sag mir, Brenda, wie alt ist deine Freundin Wiebke eigentlich?«
»So alt wie ich – sechzehn.«
Ich schluckte. Meine Güte, dann war Wiebke Crotano beinahe noch ein Kind. Aber auch eine Mörderin? Ich wollte es einfach nicht glauben…
***
Miss Monster kam sich vor wie in einer Gefängniszelle. Nur daß das Fenster kein Gitter besaß. Sie ging auf und ab.
Bis zur Tür, dann drehte sie sich und schritt denselben Weg wieder zurück.
Immer wieder, immer öfter. Und dabei überlegte sie, wie es jetzt weitergehen sollte.
Zweimal hatte sie zurückgeschlagen, sich gerächt. Aber hatte sie sich nicht auch in eine Klemme gebracht?
Sie schaute durch das Fenster nach unten. Dort hatte man den toten Redstone mittlerweile weggeschafft. Es hielten sich nicht mehr alle Lehrpersonen auf, um zu diskutieren und sich gegenseitig mit ihren Vermutungen zu nerven.
Sie würden natürlich nachforschen, sie würden mit Mrs. Paulsen reden wollen, und sie würden die Leiche der Frau auf ihrem Bürostuhl liegend finden.
Und dann?
Gab es eine Spur zu ihr?
Keine direkte, aber sie traute ihrer Freundin Brenda Jackson nicht über den Weg. Wieder bereute sie es, ihr zuviel erzählt zu haben. Sie war zu einem schwachen Punkt geworden.
Wieder blieb Miss Monster vor dem Fenster stehen.
Sie entdeckte schwach ihr Spiegelbild in der Scheibe. Selbst die Boshaftigkeit ihres Gesichtsausdrucks zeichnete sich dort ab. Sie war ein junger Mensch, aber sie fühlte sich nicht mehr zu den Menschen zugehörig. Sie hatte das Böse erlebt, es hatte sie fasziniert, aber dabei war es nicht geblieben.
Diese andere, sehr mächtige Kraft war tief in sie eingedrungen und hielt nun ihre Seele umfangen.
Sie war die neue Dienerin des Bösen, die es besonders gut machen wollte.
Immerhin war es ihr gelungen, zwei ihrer schlimmsten Feinde auszuschalten. Damit hatte sie gewissermaßen die Feuerprobe bestanden, und sie dachte darüber nach, welche Feinde möglicherweise noch existieren.
Ja, es gab da einige Lehrer, mit denen sie nicht so gut zurechtkam, aber das war kein Vergleich zu Mister Redstone oder Mrs. Paulsen gewesen. Noch immer hielt sie sich vor dem Fenster auf und verspürte den Drang, es zu öffnen.
Die Luft im Raum wollte sie einfach nicht mehr atmen. Sie kam ihr so anders vor, so träge, so dick, als wollte sie bei jedem Atemzug ihr Inneres zusammenkleben.
Sie öffnete das Fenster.
Kühle strömte ihr entgegen. Eine wirklich besondere Luft, denn sie brachte den Geruch des Moores mit. Und er wirkte auf Miss Monster wie ein erfrischender Balsam.
Das war die Luft, die sie brauchte. Vom Moor her wehte sie ihr entgegen. Genau dort hatte sie das Böse kennengelernt und war so fasziniert gewesen.
Jetzt schickte es ihr einen Gruß.
Tief saugte sie die schlechte Luft ein. Es war der Geruch von Verwesung und Fäulnis. Da unterschied sich der Geruch des Wassers kaum mehr von dem der allmählich in Humus übergehenden Pflanzen. Sie sah die graue Decke des Himmels über dem Moor und schaute aus glänzenden Augen gegen die Wolken.
Plötzlich stellte sie fest, daß nicht mehr das Internat ihr Zuhause war, sondern der
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