Miss Seeton kanns nicht lassen
formulierte Delphick eine Frage. Die Antwort kam in mühsamen und ungeformten Tönen, ein häßliches Lautgewirr.
Doris fuhr hoch. Den Jungen solle er gefälligst in Ruhe lassen; was ihm eigentlich einfiele, ein Kind anzuschreien, das gar nicht sprechen könne, von verstehen ganz zu schweigen. Was er sich einbilde? So könne er mit ihr nicht umgehen!
Delphick sah den Jungen prüfend an. Hübsches Kind. Sein Blick wanderte zu Doris und ihrem Mann; im Geiste sah er ein Stück Draht von ihren festgespannten Händen herunterhängen. Ihm wurde leicht übel.
Dem Chief Inspector in Ashford tat es schon leid, daß er Len Hosigg hatte laufenlassen.
»Wenn wir ihn bloß hierbehalten hätten, Orakel, dann wüßten wir, woran wir sind. Jetzt haben wir ihn erst in die Zange genommen und dann gehen lassen, und gleich darauf passiert dies. Sieht übel aus.«
»Und seine Frau?« sagte Delphick. »Ich neige in diesem Fall mehr zum schwächeren Geschlecht.«
Auf Delphicks Ersuchen wurde vereinbart, daß die nächste Streife, die den Ouintschen Wagen auf der Straße antraf, ihn unter einem technischen Vorwand anhalten und sich den Führerschein zeigen lassen solle, damit man Namen und Adresse nachprüfen konnte. Bob Ranger hatte, als die Quints nicht daheim waren, sich das Haus mal angesehen und nirgends irgendwelche Spuren von Motorrädern gefunden, auch nicht im Schuppen; es gab keinerlei Hinweis darauf, daß sie jemals so etwas besessen oder gefahren hatten. Nur der kleine Transporter stand da; er sah recht schmutzig aus, und die Türen waren verschlossen. Brinton hatte jetzt eine Idee. Ob Delphick wohl Miss Seeton bitten würde, in die Dorfschule zu gehen und von jedem Kind eine Skizze zu machen?
Delphick war nicht begeistert. »Das ist eine Zumutung, Chris. Wir haben noch nie in einem Bezirk zwei Fälle gehabt. Und ich wußte übrigens gar nicht, daß Sie soviel von ihr halten –?«
»Tue ich ja auch nicht«, gab Brinton zurück. »Aber es steht doch nun mal fest, sie hat damals diese gräßliche Zeichnung von der kleinen Goffer gemacht, und dann noch die Lilie. Vielleicht bedeutet es tatsächlich nichts, aber es gibt doch zu denken, Orakel. Wir können uns absolut nicht leisten, etwas zu übersehen. Die Schule ist klein – wir wollen ja keine Ölgemälde, nur ganz rohe Skizzen. Vielleicht macht sie uns das Ganze zu einem Pauschalpreis.«
Delphick rief Scotland Yard an. Sir Hubert Everleigh war einverstanden und meinte abschließend leicht ironisch, bei dieser Inanspruchnahme wäre es vermutlich rationeller, Miss Seeton bei der Polizei fest anzustellen.
Die Zeitungen taten sich zusammen und stimmten ein allgemeines Entrüstungslied an. Dies sei der sechste Kindermord, und noch immer wartete man auf die Verhaftung. Es sei unerhört, daß die Morde sozusagen direkt unter den Augen der Polizei verübt wurden. Direkt unter den Augen von Superintendent Delphick vom Yard, der mit dem Fall betraut worden sei und sogar in dem Dorf wohne, wo die Untat geschehen sei. Man betonte, daß die Polizei im Augenblick des Verbrechens am Tatort war, ignorierte jedoch die logische Folgerung, daß sie daher dem Täter offenbar dicht auf den Fersen war. Insgeheim richtete sich der Zorn der Presse auf den The Daily Negative und auf Mel Forby. Mel hatte am Tag vorher in ihrem Artikel von Mord gesprochen; das mußte sie von irgendwoher haben. Was wußte sie und woher? Warum hatten nicht alle gewußt, daß Delphick in Plummergen war? Wie war die Forby darauf gekommen, und warum hatte sie in dem Artikel nichts davon gesagt?
Mel hatte die ganze Nacht hindurch immer wieder mit ihrer Zeitung telefoniert und alles durchgegeben: Effie Goffers Verschwinden, das polizeiliche Aufgebot, das nach ihr suchte, die Besorgnis um die Sicherheit des Kindes, die Ansetzung von Suchhunden, und schließlich – mit Delphicks Zustimmung – die Befürchtung, daß der Kinderwürger ein neues Opfer gefunden habe. Dieser Knüller kam zwar zu spät für die Titelseite, aber gerade noch rechtzeitig als letzte Meldung. Die Nachricht von der Auffindung der Leiche hatten die Morgenzeitungen nicht mehr bringen können; in den Abendblättern erschien sie in Balkenüberschriften. Mel hatte ihren Vorsprung gehabt und war zufrieden, ebenso wie The Daily Negative. Miss Seeton und ihr Regenschirm waren nicht erwähnt. Die Uneingeweihten wußten nicht, daß sie überhaupt etwas damit zu tun hatte, und in die Idyll-Serie paßte die Sache auch nicht. Die wollte sie lieber nach
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