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Miss Seeton und der Hexenzauber

Titel: Miss Seeton und der Hexenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heron Carvic
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Küste gesehen; sie hat gemalt.«
    »Oh.« Er kicherte. »Das war bestimmt Miss Seeton; sie ist Zeichenlehrerin. Sie macht heute mit den Schulkindern einen Ausflug an die Küste.«
    »Aber ich bin ihr nicht heute begegnet. Und sie war ganz allein.«
    »Es kann nur Miss Seeton gewesen sein. Ihretwegen gibt  es einen Riesenstreit im Dorf. Einige der Eltern sind der Ansicht, daß sie keine gute Aufsicht für ihre kleinen Ungeheuer ist, weil die Hälfte der Bevölkerung in Aufruhr ist und sich in den Kopf gesetzt hat, daß sie eine Hexe ist.«
    »Wirklich?« Er stellte seine Tasse ab und sah sie an, ihr scharfer Tonfall überraschte ihn. »Und ist sie eine?« fragte sie weiter.
    Er grinste. »Ich würde es ihr ohne weiteres zutrauen, so wie sie von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen hüpft und trotzdem immer mit heiler Haut davonkommt. Ich denke, sie hat sich am Strand ein bißchen umgesehen und ein Bild gemalt, um den Kindern zu zeigen, wie es geht.«
    »Aber das hat sie gar nicht getan«, erwiderte Merilee Paynel langsam. »Sie hat die Kirche gezeichnet.«
    »Was für eine Kirche?«
    »Die Kirche am Wald natürlich«, gab sie ungehalten zurück.
    »Das kann nicht sein«, widersprach Nigel. »Die steht in der Nähe von Iverhurst – mindestens eine Meile  landeinwärts.«
    Sie steckte das Zigarettenetui in ihre Handtasche und stand unvermittelt auf. »Kirchen langweilen mich, sie sind so selbstgerecht und rechtwinklig.«
    Nigel gab der Serviererin ein Zeichen und verlangte die Rechnung. »Hast du morgen abend etwas vor?«
    »Ja, ich habe eine Verabredung.«
    Nigel, der sie vor seinem geistigen Auge mit Basil zusammen sah, redete ohne nachzudenken drauflos. »Mit wem? Könntest du nicht absagen?«
    Sie wurde ärgerlich. »Ich soupiere mit dem Teufel persönlich – und ich sage einmal getroffene  Verabredungen niemals ab.« Dann setzte sie etwas sanfter  hinzu: »Vielleicht ein andermal.«
    »Tanzt du gern?« fragte er eifrig. »Es geht. Wenn es einen Grund dafür gibt.« Am nächsten Samstag fand ein Jägerball ganz in der Nähe, in Maidstone, statt. Ob sie wohl mit ihm dort hingehen würde? Ja, das wollte sie.
    Nigel bezahlte im Rausch der Glückseligkeit die Rechnung und fuhr sie mit dem kleinen MG, den er von seiner Mutter übernommen hatte, zum George and  Dragon.
    Das Mädchen brach schließlich das lange Schweigen.
    »Wieso eine Hexe?«
    »Eine Hexe?« Er mußte erst seine Gedanken sammeln.
    »Oh, du meinst Miss Seeton. Weiß der Himmel, ich jedenfalls hab’ keine Ahnung, wie sie daraufkommen. Ich weiß nur eines: Wenn sie eine Hexe wäre und ich der Teufel, dann würde ich lieber in der Hölle bleiben – dort wäre ich sicherer.«
    Äußerst beunruhigend. Miss Seeton suchte fieberhaft.
    Die Mappe war der einzig mögliche Platz, und sie war so gut wie sicher, daß sie sie dort hineingelegt hatte. Aber augenscheinlich irrte sie sich. All die anderen Zeichnungen waren da und außerdem ein Bild, das ihr, wenn sie genauer hinschaute, ganz unbekannt vorkam. Sie musterte es eingehend. Sehr schlampig, leider. Nur eine hingeworfene Skizze von einer bedauerlich desolaten Kirche mit Bäumen dahinter. Natürlich war es nicht ordentlich gemalt – nur hingeschmiert. Es sah aus wie ein ziemlich großer Wald. Ja, das mußte es sein. Ein kurzer Eindruck von etwas, was sie irgendwo gesehen hatte, irgendwann – und sie hatte es nur schnell gemalt, um den Anblick nicht zu vergessen. Wahrscheinlich hatte sie sich vorgenommen, später genauer daran zu arbeiten. Und hatte es vergessen. Ein ordentliches Bild zu malen, meinte sie.

    Miss Seeton schloß die Mappe, kniete sich hin und legte sie in die unterste Schublade ihres Schreibtischs. Dann erhob sie sich.
    Sie konnte es nun nicht mehr ändern, sie würde ohne dieses Bild auskommen müssen. Vielleicht hatte sie ja ein bißchen Zeit, eine andere Zeichnung von der  Küstenlandschaft zu machen, während sie die Kinder beaufsichtigte. Wenn es einen Wettbewerb geben sollte, müßten die Schüler ihrer Meinung nach eine gute Vorstellung von dem haben, worauf es ankam. Man mußte ihnen etwas zeigen, wonach sie sich richten konnten. Hatte sie alles, was sie brauchte? Ihren Zeichenrahmen, Stifte, Pinsel, Farben, Schere, einige Blöcke mit Buntpapier und Klebstoff. Und – irgendwas hatte sie vergessen, das wußte sie genau – o ja, das Notizbuch, in das sie immer verschiedene Materialien zwischen die Seiten legte. Ja, das war alles. Ach, nein, doch nicht. Sie hätte fast ihr Lunchpaket

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