Miss Seeton und der Hexenzauber
nie wissen, vielleicht lagen da drin noch ein paar auf der Lauer. Das Gejaule sollte auch den letzten aufscheuchen. Nigel und der junge Hosigg, Vorarbeiter auf der Colveden-Farm, wurden zu Anführern des Stoßtrupps bestimmt. Ein Mann machte eine Räuber-leiter, und die beiden kletterten durch die zerbrochenen Kirchenfenster. »Kein Feind in Sicht«, riefen sie den anderen zu. Während die Verstärkung nachrückte, schoben sie den Riegel vom Portal zurück und öffneten es. Die Reservetruppen drängten herein, spähten und schnüffelten in allen Winkeln, riefen Ah und Oh. Ein Farmarbeiter erklomm die Stufen zur Kanzel, die prompt einbrachen.
Nigel ging methodischer vor und untersuchte den Altarraum. Plötzlich blieb er stehen und hob eine Altardecke hoch, die wie ein Leichentuch den geschundenen Puppenkörper bedeckte. Eine Weile war er wie erstarrt, schluckte schwer und schluckte noch einmal. Erst dann machte er sich auf, um seinen Vater zu holen.
Miss Seeton war es gelungen, sich aus dem unhandlichen Mantel zu befreien, als ein Ruck an der Leiter sie zwang, ihre Handtasche loszulassen und schnell nach einer Sprosse zufassen.
»Oh, bitte – passen Sie auf!« schrie sie bestürzt.
Womit schmiß diese Xanthippe jetzt schon wieder um sich? Ted neigte den Kopf nach hinten, und die Tasche traf mit voller Wucht sein nach oben gewandtes Gesicht.
Er heulte wutentbrannt auf. Der Schmerz spornte ihn noch mehr an, und er stürmte weiter. Dafür mußte sie büßen, und wenn er selbst dabei draufging. Miss Seeton erreichte die Plattform und versuchte einen Fuß darauf zu setzen.
Aber die Leiter vibrierte so sehr, daß sie auf die Knie fiel und an eine Wand prallte. Ted lachte; nur noch wenige Meter, und er hatte sie. Der Dufflecoat schwebte auf ihn hernieder und breitete in der Luft die Ärmel aus, als wollte er Ted willkommen heißen. Von tiefer Schwärze umhüllt kämpfte Ted sich weiter nach oben, aber die Leiter bäumte sich auf, als hätte sie jetzt, nachdem sie Miss Seetons Gewicht von sich geschüttelt hatte, ihre wahre Bestimmung vergessen. Sie schwankte, schien sich noch einen Moment unschlüssig zu sein, kippte dann aber doch, gewann Geschwindigkeit und krachte an die gegenüberliegende Wand. Holz splitterte, und die obere Hälfte brach ab. Der Mantel löste die tödliche Umarmung.
Ted stieß einen Entsetzensschrei aus, als er im Schein seiner eigenen Taschenlampe verfolgte, wie er ins Leere trat und ihm der Mantel auf seiner Reise ins Nichts folgte.
Teds Heulen drang, gedämpft durch die Entfernung und die Tür, ins Kirchenschiff und hallte unheimlich von den Steinwänden wider. Sir Georges Armee hielt mitten im Vormarsch inne. Einige Kämpfer desertierten, als würden sie von Höllenhunden gehetzt. Die Beherzteren schlossen die Reihen und hielten Kriegsrat.
»Menschenskind, das jagt einem eisige Schauer über den Rücken.«
»Woher kam das?«
»Aus dem Nichts.«
»Nee, aus dem alten Glockenturm.«
»Das war aber keine Fledermaus.«
Wie ein Mann rückten sie zur Tür zum Glockenturm vor.
Ehe sie sie erreichten, hörten sie ein Knirschen und Krachen, gefolgt von einem spitzen Schrei, der seinen Ursprung im Himmel zu haben schien, senkrecht auf sie herabstieß, zu einem Crescendo anschwoll und in einem Schlag endete, der den Boden erschütterte. Die Tapferen wichen entsetzt zurück. Nigel, der gerade mit Sir George zum Altar kam, schnappte sich den jungen Hosigg, und zu dritt liefen sie zur Tür und rissen sie auf. Das Licht einer Taschenlampe zeigte ihnen die Glocken, zwei Männer, eine zerborstene Leiter, ein offene Handtasche, aus der alles mögliche herausquoll, einen Mantel und einen zerfetzten Regenschirm. Eine Handtasche … ein Schirm?
Voll böser Vorahnung schauten sie genauer hin. Sonst war hier nichts, überhaupt nichts.
Die Nachhut vor der Kirche war durchdrungen von neuerwachter Kraft. Es war glasklar, daß hier böse Mächte ihr Unwesen getrieben hatten. Die Helfershelfer des Teufels hatten diese Kirche heimgesucht, und wer, bitte schön, hatte sie vertrieben? Sie höchstpersönlich. Und wessen Idee war es gewesen, sie zu verjagen? Ihre. Sir George hatte recht. Die Sache mußte auf korrekte Art und Weise zu einem Ende gebracht werden. Sie bedrängten den Vikar, sein Werk zu tun, und stimmten zusammen den Chor »Jerusalem« an.
»… mein Speer. O Wolken, laßt den Himmel frei«, flehten sie inbrünstig.
Es war die Nacht der Gebete – alle Wünsche wurden erhört. Gehorsam
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