Miss Seeton und der Hexenzauber
abgestorben war, nicht mehr verantwortlich für die Taten ihres Körpers sein konnte. Sie schlief sich durch sämtliche Betten.
Duke war sie zufällig auf einer Party begegnet und wurde genauso zufällig seine Geliebte. Er fand sie nützlich – eine blendende Werberin für den Hexenkult –, aber sie wollte sich nicht voll und ganz für Nuscience engagieren.
Sie besuchte gelegentlich eine der Versammlungen, weigerte sich jedoch, der Organisation beizutreten, und N. und sie empfanden eine tiefsitzende, wechselseitige Abneigung.
Jetzt saß sie hier mit fünf ausgelassenen, weltoffenen jungen Leuten zusammen, und Nigels Geschichte nötigte sie, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Sie selbst hatte Duke erzählt, daß Miss Seeton ein Bild von der Kirche gemalt hatte. Und daher trug sie, sie allein, die Verantwortung für den Überfall auf die alte Frau. Sie hatte sich immer eingeredet, daß es niemanden etwas anging, was sie tat, und daß niemand darunter zu leiden hatte.
Plötzlich erfuhr sie von den Auswirkungen ihrer Aktionen, und das zwang sie zum Nachdenken.
In welche Richtung steuerte sie? Was trieb sie überhaupt an? Nigel, seine Familie, diese Miss Wicks, Miss Seeton, das Dorf als Ganzes: unbekümmert, unschuldig, harmlos.
Und sie? Keineswegs unschuldig und auf ganz andere Weise unbekümmert, achtlos, und mit dieser Achtlosigkeit richtete sie verheerenden Schaden an. Vieles, vor dem sie bisher die Augen verschlossen hatte, wurde jetzt in seiner ganzen Erbärmlichkeit sichtbar. Sie war sich bewußt gewesen, daß Duke Leute erpreßte und daß seine
Machenschaften öfter als einmal zum Selbstmord geführt hatten, aber sie hatte dieses Wissen abgeschüttelt und sich eingeredet, mit ihr habe das nicht das geringste zu tun. Es hatte auch Unfälle gegeben. Jetzt, da sie klarer sah, mußte sie sich fragen, ob es wirklich Unfälle gewesen waren oder ob man auf diese Weise Unannehmlichkeiten, die zur Gefahr hätten werden können, aus dem Weg geräumt hatte. Sie war sich im klaren, daß Duke und N. keinerlei Skrupel kannten, wenn es um Geld ging. Hatte sie auch geahnt, daß Mord im Spiel war, und diese Ahnung aus Selbstschutz verdrängt?
Eines wußte sie jetzt ganz sicher: Sie mußte ins Dorf zurück, bevor es zu spät war. Zurück? dachte sie bitter.
War es nicht immer viel später, als man es sich eingestehen wollte? Konnte man überhaupt zurück?
Nach dem Essen schützte Merilee Kopfschmerzen vor und sagte, sie müsse den Ball verlassen. Nigel war sehr besorgt um sie – sie war mit einemmal so blaß und sah erschöpft aus. Irgendwie fühlte er sich für diese Veränderung verantwortlich – er schnitt ihr das Wort ab, als sie sich für ihre Unpäßlichkeit entschuldigen wollte, und fuhr sie zum George and Dragon. Sie machte die Enttäuschung wieder wett, indem sie ihn zum Abschied küßte, ihn umarmte und versicherte, daß sie sich nur richtig ausschlafen müsse, dann ginge es ihr bestimmt wieder gut. Sie verabredete sich sogar für den nächsten Tag zum Mittagessen mit ihm und blieb auf dem Gehsteig stehen, um ihm nachzuwinken, als er, wieder in
Hochstimmung, den Wagen wendete und nach Hause fuhr.
Es klopfte an der Tür. Äußerst eigenartig, wirklich. Es war ein wenig spät für einen Besuch. Miss Seeton zögerte, dann stellte sie das Teetablett auf dem kleinen Tischchen im Flur ab und öffnete die Haustür. Gütiger Himmel. Wie sonderbar. Mrs. Paynel. Miss Seeton sah die Besucherin beinahe fassungslos an. Gerade jetzt, wo sie sich … Aber nein. Sie würde nicht mehr an dieses Bild denken, bis sie eine Tasse Tee getrunken hatte. Wenn sie es sich dann wieder anschaute, würde sie genau das sehen, was sie gemalt hatte, davon war sie überzeugt; obwohl es wahrscheinlich, fürchtete sie, nicht halb so gut sein würde, wie sie es sich wünschte.
»Darf ich reinkommen?« fragte Merilee.
Miss Seeton wurde sich bewußt, daß sie nicht die Freude über den unverhofften Besuch zur Schau stellte, die man von einer guten Gastgeberin erwarten durfte. Sie trat beschämt beiseite. Das Porzellan klapperte, als sie gegen das Tablett stieß. Merilee nahm es an sich. »Natürlich«, versicherte Miss Seeton. »Bitte, treten Sie näher. Tut mir leid. Wenn Sie das Tablett einfach hier herein bringen.«
Sie deutete ins Wohnzimmer. »Ich hole nur schnell eine zweite Tasse.« Sie drehte sich um und eilte in die Küche.
Als Miss Seeton mit der Tasse und einem Teller mit Biskuits und Keksen zurückkam, hatte
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