Miss Winbolt ist schockiert
haben. Wir sehen uns in der kommenden Woche, Miss Winbolt.“
Zunächst war Emily über Williams befehlsähnliche Aufforderung verärgert. Zwar glaubte sie nicht, dass er ihr Geheimnis verraten würde, doch wollte sie so wenig Zeit wie möglich mit ihm verbringen. Er hatte einen Teil ihrer Natur erlebt, den keiner bei ihr erwartet hätte, und sie ärgerte sich über die Macht, die er dadurch über sie besaß.
Ihr Zorn verflog jedoch schnell, und sie begann sogar, sich auf den Besuch zu freuen. Ihr Leben schien ihr interessanter geworden zu sein, und immerhin konnten Sir William und sie sich nun auf mehr oder weniger gleicher Augenhöhe begegnen. Was habe ich zu verlieren? Es gab nichts mehr zu verbergen, und insgeheim gestand sie sich ein, dass sein eigenartiger Humor sie faszinierte.
Als sie nach Charlwood aufbrachen, hatte sogar Rosa nichts an Emilys modischem Stil auszusetzen. Sie trug eines ihrer schönsten Kleider aus zart apricotfarbenem Musselin, darüber einen gerippten Seidenspenzer in einer dunkleren Schattierung. Ihre Schuhe und Handschuhe aus feinstem Leder sowie ihr Leghorn-Strohhut zeugten von äußerster Eleganz. Sie hatte ihr Haar von dem strengen Knoten befreit, sodass einige Locken ihr Gesicht umspielten. Die Farbe des Kleides verlieh ihrem sonst blassen Teint ein sanftes Schimmern, und ihre Aufgeregtheit ließ ihr Gesicht besonders lebhaft wirken. Rosa hätte sich weniger über das Aussehen ihrer Schwägerin gefreut, wenn sie die wahren Motive gekannt hätte. Emily wollte nicht anziehend wirken, sondern imponieren. Ihre Erscheinung sollte von Kopf bis Fuß das vermitteln, was sie war: eine elegante, wohlhabende Dame aus gutem Hause, die jeden Mann, einschließlich Sir William, in seine Schranken weisen konnte. Es war reiner Zufall, dass ihr diese Aufmachung zudem ausgezeichnet stand.
Williams ebenso überraschter wie bewundernder Gesichtsausdruck bei der Begrüßung in Charlwood war für sie sehr befriedigend. Emily war auf einen seiner spitzen Kommentare eingestellt, doch sein Verhalten ließ nichts zu wünschen übrig. Er bedachte sie mit derselben Höflichkeit wie Rosa und Philip und machte keinerlei Anstalten, sie zu einem Gespräch unter vier Augen zu drängen.
Sie besichtigten zunächst das Witwenhaus, und William stellte ihnen das Pärchen vor, das im Pförtnerhaus lebte.
„Mrs. Lilley schaut für mich nach dem Witwenhaus, und ihr Mann hält ein wachsames Auge auf das übrige Gelände einschließlich des Herrensitzes. Haben unsere Eindringlinge sich noch einmal blicken lassen, Sam?“
„Nein, ich glaube, wir haben sie verscheucht.“
William wandte sich an seine Gäste. „Einige Herumtreiber sind kürzlich in Charlwood aufgetaucht. Sam hält sie für Landstreicher. Es gibt aber keine Hinweise auf Beschädigung, oder Sam?“
„Nein, nicht dass ich wüsste, Sir. Aber wenn es Ihnen recht ist, bitte ich den Sohn meines Bruders eine Zeit lang mit mir Wache zu schieben. Das Anwesen ist zu groß für mich, um überall gleichzeitig zu sein. Wir werden den Kerlen aber schnell beibringen, dass Charlwood wieder in guten Händen ist, und sie hier nicht mehr willkommen sind.“
„Ausgezeichnet.“ Erneut drehte sich William zu seinen Gästen um. „Ich könnte Ihnen einen Teil des Herrenhauses zeigen. Von dort aus kann man die Anlage gut überblicken. Das Gebäude ist noch in einem schrecklichen Zustand, aber den hinteren Salon kann man inzwischen gefahrlos betreten. Ich fürchte, wir müssen die Auffahrt hochlaufen, denn der Weg ist zu holprig für die Kutsche.“
Sie gingen auf das Haus zu. William verhielt sich Emily gegenüber weiterhin vorbildlich. Sie führten ein angeregtes Gespräch über die Pläne für den Garten. Er bot ihr den Arm, um ihr über den unebenen Boden zu helfen, ebenso wie Philip es bei Rosa tat. Kommentarlos hob er sie über einen umgestürzten Baumstamm, der den Weg versperrte, wobei er sie nicht länger als nötig berührte.
Als sie das Herrenhaus erreichten, führte William sie durch ein Labyrinth von Brettern und Baumaterial in den hinteren Gebäudeteil. Sie erreichten einen wunderbar geschnittenen Salon mit hohen Fenstern, der den Blick auf eine weite Terrasse freigab. Emily sah sich um. Die jahrelange Verwahrlosung hatte deutliche Spuren hinterlassen. Der Boden war mit dreckigem Putz übersät, Fetzen hingen von den Wänden, und Bilder und Spiegel lagen zerbrochen auf dem Boden. Doch sogar durch all den Staub und Schutt konnte man noch die ursprüngliche
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