Missgeburt
Franciscos zu vertreten.
Samuel rief im Bruno’s an, um für sein Treffen mit Art McFadden einen Tisch zu reservieren. Aber das ging nicht. Der Mann, den er am Telefon hatte, versicherte ihm allerdings, er brauche sich keine Sorgen zu machen, sondern solle einfach zur gewünschten Zeit auftauchen; dann werde man schon einen Tisch für ihn finden. Samuel nahm ihn beim Wort. Am nächsten Tag fuhr er mit der Mission-Street-Tram zur Ecke Twenty-third Street. Als er von dort zu Fuß zum Bruno’s weiterging, kam er an einem mexikanischen Schuhgeschäft und einer ärztlichen Ambulanz vorbei, in deren Schaufenster neben einem Foto eines Arztes mit einem Stethoskop um den Hals mehrere Universitätsdiplome und eine auf Spanisch verfasste Liste mit den Kosten der verschiedenen ärztlichen Leistungen hingen. Auf zwei Geschäfte, in denen ausschließlich Erstkommunionskleider für Mädchen verkauft wurden, folgten mehrere auf dem Gehsteig aufgebaute Verkaufsstände für Obst und Gemüse. Das Viertel wirkte insgesamt auffallend sauber und strahlte bescheidenen Wohlstand aus. Als Samuel schließlich kurz vor dreizehn Uhr das leicht heruntergekommene Lokal betrat, war der Laden proppenvoll. An der Bar drängten sich Gewerkschaftsfunktionäre sowie Lokalpolitiker und hochrangige Polizeibeamte, teils in Zivil, teils in Uniform. Die Luft in der Bar war so verraucht, dass Samuel nur tief Luft zu holen brauchte, um jegliche Gelüste nach einer Zigarette zu befriedigen, die in seinem Hinterkopf noch herumschwirren mochten.
Er entdeckte Art McFadden am Ende des Tresens. Michael Harmonys Privatermittler trug dasselbe karierte Sakko, in dem
er wenige Abende zuvor in der Kirche aufgekreuzt war, und unterhielt sich, an einem Zigarrenstumpen kauend, mit einem Mann, den Samuel nicht kannte.
Samuel bahnte sich einen Weg durch die Menge, und als er McFadden schließlich erreichte, nahm dieser seinen Stumpen aus dem Mund, kippte seinen letzten Rest Bourbon on the rocks hinunter und klatschte Samuel, alles in einer einzigen Bewegung, leutselig auf den Rücken, um ihn dann dem Chef der Laborers’ Union vorzustellen, der neben ihm stand. In der Bar war es so laut, dass es kaum möglich war, jedes Wort einer Unterhaltung mitzubekommen, geschweige denn seinen Gesprächspartner in der verrauchten Luft deutlich zu sehen.
»Auf die Minute pünktlich«, stellte McFadden fest.
Samuel konnte nur ahnen, was der Mann gesagt hatte. »War nicht ganz einfach, überhaupt zu Ihnen durchzukommen.«
McFadden steckte einem Kellner ein paar Dollar zu, worauf dieser sie zu einem Tisch führte, der weit genug von dem Lärm im Umkreis der Bar entfernt war, um sich halbwegs vernünftig unterhalten zu können. Bevor sie Platz nahmen, bestellte McFadden einen weiteren Bourbon on the rocks. »Was trinken Sie, Samuel?«
»Einen Scotch on the rocks bitte«, brüllte der Reporter, bevor er merkte, dass er hier nicht mehr so laut zu schreien brauchte. Die Männer setzten sich. Der glatzköpfige Ire erwies sich als zugänglich und gesprächig; und soviel Samuel bisher mitbekommen hatte, verfügte er unter den Arbeiterführern über gute Beziehungen.
»Hab Sie hier bisher noch gar nicht gesehen«, sagte McFadden.
»Sind Sie neu bei der Zeitung?«
»Ich bin erst seit einem Jahr Reporter«, antwortete Samuel.
»Und davor bin ich nicht groß rumgekommen. Und Sie?«
McFadden lachte. »Ein Ire findet in dieser Stadt immer ein Plätzchen, an dem er sich zu Hause fühlen kann. Wie Sie sehen, gibt es hier jede Menge von uns.«
Samuel wollte zwar möglichst wenig Zeit mit Smalltalk vergeuden, sich aber auch nicht auf gefährliches Terrain vorwagen. Deshalb beschloss er, zu warten, bis sich ein geeigneter Moment böte, zum Thema zu kommen. Aber glücklicherweise nahm ihm McFadden die Arbeit ab.
»Trinken wir erst mal einen«, schlug der Ermittler vor. »Um uns ein bisschen kennenzulernen. Jeder will schließlich wissen, mit wem er es zu tun hat.«
»Genau. Ich würde auch gern etwas mehr über Sie erfahren.« Sie leerten die Drinks, die sie vor sich stehen hatten, schickten ihnen zwei weitere hinterher und aßen dazu in Butter gedünstete Scholle mit Salzkartoffeln. Währenddessen kamen immer wieder Freunde und Bekannte McFaddens an ihren Tisch, um hallo zu sagen oder McFadden um eine kurze Unterredung nach dem Essen zu bitten.
»Sie scheinen ja wirklich Gott und die Welt zu kennen«, bemerkte Samuel, dem nicht entging, dass der Ire mit jedem Schluck leutseliger und
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