Missgeburt
sagen, Sir. Kommen Sie morgen wieder.«
»Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich bin hier, um einen Blick in die ärztlichen Unterlagen von Octavio Huerta zu werfen. «
»Die Unterlagen darf nur Señora Lopez herausgeben. Kommen Sie morgen wieder.«
»Jetzt hören Sie mal! Ich bin extra den weiten Weg von San Francisco hierhergekommen und hatte für heute Morgen einen Termin mit Señora Lopez.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sir, sie ist nicht hier. Kommen Sie morgen wieder.«
Wutentbrannt stürmte Samuel nach draußen und warf die Tür hinter sich zu. Unschlüssig, was er jetzt tun sollte, fuhr er zunächst in sein Hotel zurück und rief dort zuerst Bernardi an und dann Vanessa, die ihm geholfen hatte, den Termin zu vereinbaren. Während Vanessa versuchte, Nereyda Lopez zu erreichen, machte Samuel eine Wüstenrundfahrt und aß in einem urigen kleinen Restaurant zu Mittag. Dann rief er Vanessa wieder an, die Nereyda Lopez inzwischen erreicht hatte. Sie bestellte ihm von der mexikanischen Ärztin, der Termin sei infolge eines bedauerlichen Missverständnisses nicht zustande gekommen und sie werde sich am nächsten Morgen mit ihm treffen. Daraufhin ging Samuel früh zu Bett. Am nächsten Morgen stand er so zeitig auf, dass er in der Ambulanz eintraf, als diese gerade öffnete.
Am Empfang saß dieselbe junge Frau, mit der er bereits am Tag zuvor verhandelt hatte. »Kann ich Señora Lopez jetzt bitte sprechen? «, fragte er erwartungsvoll.
»Ich sehe mal nach, ob sie schon da ist. Wen darf ich bitte melden? «
»Samuel Hamilton aus San Francisco. Ich wollte mich nach einem ihrer Patienten erkundigen.«
Wenige Minuten später kam die Empfangsschwester zurück. »Kommen Sie bitte mit.« Sie öffnete die Flügeltür neben ihrem Schalter und führte Samuel einen langen Gang hinunter in einen großen Krankensaal mit mindestens dreißig Feldbetten. Inmitten der vielen Patienten stand eine große, etwas über dreißigjährige Mexikanerin mit ausgeprägten Wangenknochen und zimtfarbener Haut. Sie trug einen weißen Kittel und eine weiße Haube und hatte ein Stethoskop um den Hals hängen. Das Gipsbein des Mannes, den sie gerade behandelte, war an einem von der Decke hängenden Draht befestigt. Als Samuel auf die Frau zuging, wandte sie sich von ihrem Patienten ab und begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln. »Guten Tag. Ich bin Nereyda Lopez Niebles. Sie wollten mich sprechen?«
»Ja.« Samuel war überrascht, dass die Frau so gut Englisch sprach. »Ich bin Samuel Hamilton aus San Francisco. Ich dachte, wir hätten bereits gestern einen Termin gehabt.«
»Mir ist leider etwas dazwischengekommen, und ich musste nach Arizona fahren«, sagte die Frau, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, Termine nicht einzuhalten. Sie hielt es nicht einmal für nötig, sich zu entschuldigen. Aber was hätte Samuel groß sagen sollen? Er war auf ihr Entgegenkommen angewiesen. Er war derjenige, der etwas von ihr wollte.
»Ich hätte mir gern die ärztlichen Unterlagen eines gewissen Octavio Huerta angesehen. Er war vor etwa drei Jahren Patient bei Ihnen.«
Sie verzog keine Miene. »Der Name sagt mir leider nichts, aber bei den vielen Patienten, die wir hier haben, ist das auch
kein Wunder. Wenn Sie sich noch ein paar Minuten gedulden würden – ich sehe gleich nach.« Sie beendete ihre Runde und verschwand dann in einem Büro am Ende des Krankensaals. Wenige Minuten später kam sie mit einer Akte zurück. »Jetzt erinnere ich mich wieder an ihn. Er war noch so jung. Er hatte eine komplizierte Ellbogenfraktur, die von einem der Ärzte, die unentgeltlich für uns arbeiten, operiert wurde.«
Nachdem die Ärztin den Fall jetzt mit einem menschlichen Gesicht in Verbindung bringen konnte, taute sie merklich auf.
Samuel lächelte. Es sah so aus, als hätte sich die weite Fahrt gelohnt. »Könnte ich vielleicht die Röntgenaufnahmen des gebrochenen Arms haben?«, fragte er.
Mit einer eleganten Bewegung nahm die Frau das Stethoskop ab und hielt es lässig in der Hand. »In Mexiko wird so etwas zwar nicht ganz so streng gehandhabt wie in den USA, Mr. Hamilton, aber trotzdem brauchen Sie einen triftigen Grund, um in die ärztlichen Unterlagen einer anderen Person Einblick nehmen zu können.«
»Den habe ich allerdings. Wie aus Ihrer Akte sicher hervorgeht, waren Octavio und sein Cousin etwa achtzig Kilometer von hier in einen schweren Autounfall verwickelt; ihr Bus hatte sich auf der Fahrt nach Tijuana überschlagen.
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