Mission Ares
Bemannte Raumfahrt auch ein Wörtchen mitzureden. Als er indes die neuen Organigramme studierte und sah, daß er sich fernab der Berichtswege der Hauptakteure wie Joe Muldoon befand, begriff er, daß man ihn aufs Abstellgleis geschoben hatte. Er hatte Sinekure, war weggelobt worden, damit er bei den Apollo-N-Untersuchungen nicht im Weg war.
Er fühlte sich einfach nicht wohl im Hauptquartier. Er hatte ein paar Aufträge und führte auch ein paar Projekte durch, die zwar den Tag ausfüllten, aber nicht ihn selbst. Oft saß er stundenlang allein im Büro, las Zeitung und wartete darauf, daß das Telefon klingelte.
Er machte ausgedehnte Spaziergänge durch Washington.
Er fand Lieblingsbänke in den weitläufigen Parkanlagen und schlenderte durch Museen. Die Beschaulichkeit und die Zeitlosigkeit der Museen hatten es ihm angetan.
Die Abende waren nicht besser.
Fay war mit den Jungs in Houston geblieben, und Seger flog jeden Freitag nach Hause. Fay wollte nicht umziehen, weil die Jungs gerade eingeschult worden waren, und Seger akzeptierte das widerstrebend.
Wenn er sich sonntags beziehungsweise montags für den
Rückflug nach Washington rüstete, stellte Fay ihm einen
kleinen Blumenstrauß zusammen. Jeden Tag steckte er sich ein anderes Blümchen ins Knopfloch, doch am Wochenende waren sie verwelkt, und überhaupt war es nicht dasselbe.
Er hatte einfach zu viel Zeit zum Grübeln.
Immer wieder ließ er jenen Flug Revue passieren – und das, was er in all den Jahren bis zum Start von Apollo-N getan hatte.
Hätte er während des Flugs etwas anders machen sollen; hatte er etwas übersehen, das Jones, Priest und Dana vielleicht gerettet hätte? Und in welchem Maß war er für die Schlamperei und Nachlässigkeit in der langjährigen Entwicklung verantwortlich, die schließlich zur Zerstörung der Nuklearrakete geführt hatte?
Er fand keine Antworten. Im Rückblick fielen ihm tausend Dinge ein, die er hätte anders machen können. Doch hatte es keinen Sinn, sich zu quälen; im nachhinein war man nämlich immer schlauer. Er hatte sein Bestes gegeben, in jedem Abschnitt seiner Laufbahn.
Doch das war auch kein Trost. Es ist in meiner Schicht passiert.
Im Flur des Apartments, das er zur Miete bewohnte, hing ein kleines messinggerahmtes Foto. Es zeigte drei in Raumanzüge gehüllte Astronauten. Für Bert – In Ihren Händen.
Seger verließ die Wohnung nie, ohne einen Blick auf das Foto geworfen und die Inschrift gelesen zu haben.
Er machte ein katholisches Kirchlein ausfindig, das nur ein paar Blocks vom Hauptquartier entfernt war und besuchte es fortan regelmäßig. Er ging drei-bis viermal pro Woche zur Messe. Das alte Ritual versetzte ihn zurück in die Kindheit und spendete ihm Trost.
Er war betroffen – geradezu schockiert – von der Armut im Umfeld der Kirche. Welch ein Kontrast zum wenige Blocks entfernten NASA-Hauptquartier. Und das in der Hauptstadt der reichsten Nation der Erde.
Allmählich wurde ihm bewußt, daß er sich schon zu lang im Schneckenhaus der NASA verkrochen und das einzige Ziel der Organisation, den Flug zum Mars, geradezu besessen verfolgt hatte. Er hatte Scheuklappen vor den Augen gehabt. Und das galt vielleicht auch für den ganzen Verein.
Er erinnerte sich, wie schockiert er wegen des Aufmarschs der Atomkraftgegner in Cape Canaveral gewesen war.
Die Welt außerhalb des JSC hatte sich weiterentwickelt.
Seger hatte das Gefühl, daß der schützende NASA-Kokon
zerfiel und er von einem grellen Licht beschienen wurde.
Er ging in die Bibliotheken und las alte Zeitungen durch –Blätter, von denen er damals nur die Sportseite und die
Berichte über die NASA gelesen hatte. Bei der Betrachtung der körnigen Mikrofiche-Bildschirme glaubte er in eine lang zurückliegende Zeit einzutauchen. Doch das war die Welt, in der er gelebt hatte, die Geschichte seines Landes.
Seger kam es so vor, als ob die Vereinigten Staaten
auseinanderfielen.
Das Land steckte in einer tiefen Rezession. Reagan
verbreitete eine Art simplizistischen Optimismus. Seger hatte indes den Eindruck, daß die Kluft in der Gesellschaft immer breiter wurde. Amerika spaltete sich: diejenigen, die ohnehin schon im Überfluß lebten, rafften in blinder Gier immer mehr Geld zusammen, und die Armen – vor allem die Farbigen in den Innenstädten – gerieten in einen Strudel aus Drogen, Kriminalität, Obdachlosigkeit und fehlender Ausbildung.
Und dann sah Seger, daß Reagan auf der Talsohle der
Rezession die
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