Mission Munroe 03 - Die Geisel
sich jetzt hinlegte, augenblicklich in einen tiefen Schlaf fallen würde, holte sie das Haar-Gel aus der Tasche und fing an, es mit geübten Fingern in ihre kurzen Strähnen zu reiben, bis das, was bisher eindeutig ein junger Mann gewesen war, ein Entweder-Oder war. Ohne Spiegel machte sie weiter, trug schwarzen Lidstrich und Wimperntusche auf. Als Neeva die Badezimmertür öffnete, war sie gerade dabei, ihre kurzen Fingernägel schwarz zu lackieren.
Kapitel 34
In dem schwachen Lichtschimmer, der aus dem Badezimmer drang, starrten die beiden Frauen einander an: Neeva auf das, was dazugekommen war, Munroe auf das, was verschwunden war.
»Du siehst irgendwie anders aus«, sagte Neeva.
»Du auch.«
Jünger. Hilfloser. Kleiner, falls das überhaupt möglich war.
»Ich habe versucht, die Locken rauszuwaschen, aber danach habe ich ausgesehen, als hätte ich eine Clowns-Perücke auf dem Kopf«, sagte Neeva. »Da habe ich gedacht, dass das hier immer noch besser ist, als wenn mich jeder Blick in den Spiegel an die erinnert.« Sie senkte den Blick. »Was sagst du dazu?«
»Du siehst ein bisschen aus wie eine Überlebende aus einem Konzentrationslager«, erwiderte Munroe. »Oder vielleicht wie nach einer Chemotherapie.«
Neeva lächelte schief und wurde ein wenig rot. »Es ist eine Art Verkleidung.«
Munroe erhob sich und steckte die Pistole in den Hosenbund. Fuhr mit der flachen Hand über Neevas kahl rasierten Schädel. »Da sind noch ein paar Stellen, die du nicht richtig erwischt hast. Ich helfe dir«, sagte sie.
Munroe beugte Neeva mit dem Kopf über das Waschbecken und fuhr mit dem Rasierer über die letzten Stoppeln. »Warum hast du eigentlich deine Identität gewechselt, bevor du nach Hollywood gegangen bist? Du hast doch ein gutes Verhältnis zu deinen Eltern. Du bist ja nicht von zu Hause abgehauen oder so was.«
Munroe drehte das Wasser ab und reichte Neeva ein Handtuch. Neeva strich sich mit der Hand über den Schädel und grinste: »Schön glatt«, sagte sie. Dann wurde sie wieder ernst. »Meiner Mom war es immer sehr wichtig, mich aus der Öffentlichkeit rauszuhalten. Sie wollte uns Kinder nicht für ihre politischen Aktivitäten benutzen.«
Sie ließ das Handtuch in das Waschbecken fallen. »Wir waren immer im Hintergrund, haben nie nach außen hin heile Familie gespielt, bloß um hier und da noch ein paar Stimmen abzugreifen. Aber ich habe natürlich mitbekommen, was passiert, wenn man bekannt ist. Die Leute haben meiner Mom jedes Wort im Mund umgedreht und alles, was sie gemacht hat, interpretiert, nur um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, um die Wahrheit zu verdrehen. Aber das Verrückteste war, dass sie genau das Gleiche auch mit den anderen Familienmitgliedern gemacht haben, obwohl die nicht das Geringste mit Politik zu tun gehabt haben.«
Neeva ließ sich an der Wand entlang zu Boden sinken und streckte die Beine aus, bis ihre Füße beinahe Munroes berührten. »Mittlerweile ist mir klar, dass es gar keine Wahrheit gibt«, sagte sie. »Nur Meinungen, die einem als die Wahrheit vorgesetzt werden.« Erneut ließ sie ihre Hand über die rasierte Kopfhaut streichen und lächelte. »Als ich in Hollywood angefangen habe, war mir klar, dass jedes Detail über mich öffentlich bekannt werden würde und dass ich mich damit irgendwie arrangieren muss. Ich wollte aber nicht, dass meine Filme und meine Rollen die Karriere meiner Mutter beeinflussen. Ich wollte mir keine Gedanken darüber machen, ob ich mit meinem losen Mundwerk oder wilden Partys ihren politischen Zielen schade, oder dass ich womöglich keine Rollen mehr bekomme, weil sie gerade irgendeinen unpopulären Standpunkt vertritt. Ich wollte einfach nur ich selbst sein, ohne Ballast. Also habe ich meinen Namen geändert, eine Vergangenheit erfunden und ganz von vorne angefangen.«
Munroe sagte: »Schon seltsam, wie der Kreis sich jetzt wieder schließt.«
»Wie meinst du das?«
Munroe stand auf, streckte Neeva die Hand entgegen, und sie gingen zurück ins Zimmer, verließen den engen Raum, in dem die Geräusche aus dem Flur und von der Straße kaum zu hören gewesen waren. Sie lauschte und sagte, nachdem sie sich sicher war, dass alles beim Alten war: »Genau der Ballast, von dem du dich selbst und deine Familie befreien wolltest, hat dich im Prinzip jetzt gerettet. Das Medieninteresse, die wilden Gerüchte, all das hat dafür gesorgt, dass dein Gesicht auf jedem Fernseher in der ganzen Welt zu sehen war.«
Neeva setzte sich
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