Mission Munroe 03 - Die Geisel
Hatte eigentlich keine Zeit für diesen Mist. Musste von hier verschwinden, bevor Lumani die Schlinge zuzog. Aber es nützte auch nichts, wenn sie lebend aus dem Hotel entkam und dafür eine Viertelstunde später mitten auf der Straße verblutete.
Neeva sah zu, wie sie die Hose aufmachte und abstreifte.
»In der Tasche da ist eine Flasche Wasserstoffperoxid und Klebeband«, sagte Munroe. Das Peroxid war eigentlich für ihre Haare gedacht gewesen, wenn Neeva im Badezimmer nicht so verdammt lange gebraucht hätte. »Holst du mir die Sachen mal raus, bitte? Und mach schnell. Wir müssen los.«
Neeva zuckte zusammen, als sei sie aus einer kurzen Trance erwacht, und durchwühlte die Taschen. Unterdessen nahm Munroe die Wunden genauer in Augenschein: zwei stammten von Steinscherben, eine von einem mächtigen Holzsplitter, der auch als Dolch durchgegangen wäre, und eine von einer Kugel, die ihren Oberschenkel gestreift hatte. Sie biss die Zähne zusammen und zog den größten Splitter oberhalb ihres Knies aus dem Bein. Machte ein Handtuch feucht, säuberte die Wunden, so gut es in der kurzen Zeit eben möglich war, und benutzte das Handtuch dann als Kompresse.
Jede Sekunde zählte.
Neeva legte die Sachen aus der Tasche auf den Toilettendeckel, und Munroe zerrte an der Verpackung. »Mach das mal auf«, sagte sie, und als Neeva ihr das Wasserstoffperoxid zurückgegeben hatte, kippte sie es auf die offenen Wunden. Legte einen trockenen Waschlappen auf die am stärksten blutende Stelle und wickelte Klebeband darum. Das würde reichen, wenigstens so lange, bis sie Gelegenheit bekam, sich das Ganze gründlicher anzusehen.
Den Schmerz konnte sie ausblenden, das war die einfachste Übung, und es hatte nichts damit zu tun, dass sie besonders hart im Nehmen war, sondern ausschließlich mit diesen Nächten im Dschungel, in denen sie immer und immer wieder das Messer zu spüren bekommen und die sie trotzdem überlebt hatte.
Ausblenden. Überwinden. Und dann töten.
Sie warf Neeva das Klebeband zu. »Einpacken«, sagte sie. »Wir verschwinden.«
Sie war auch an der Brust und am Unterleib getroffen worden. Treffer, die sie gespürt hatte wie kräftige Faustschläge, die ihr die Luft aus der Lunge gepresst hatten und höchstwahrscheinlich große blaue Flecken hinterlassen würden, von denen sie noch lange etwas hatte. Treffer, die eigentlich ihren Oberkörper hätten durchlöchern müssen. Da hatte sie einen Vorteil gehabt. Sie war davon ausgegangen, dass ihr Jäger eine Schutzweste tragen würde, und hatte ihre Taktik im Lauf des Feuergefechts danach ausgerichtet. Er jedoch hatte keine Ahnung gehabt.
Sie brauchte die Kugeln jetzt nicht zu suchen, um zu wissen, dass sie zwischen dem Leder und dem kugelsicheren Futter steckten, das selbst Projektilen aus einem Sturmgewehr standhalten konnte. Miguel Caballero, der Armani der Schutzkleidung. Sie waren so dämlich gewesen, ihr die Jacke zu lassen, und jetzt mussten sie für ihre Dämlichkeit bezahlen.
Munroe schlüpfte wieder in die Hose, zog den Reißverschluss zu und verließ das Badezimmer. Schnappte sich den Stoffbeutel und die Einkaufstaschen, die neben dem Bett standen, gab die Taschen an Neeva weiter und ging dann zur Tür. Die Wiederherstellung ihrer Kampfbereitschaft hatte zwei Minuten gekostet.
Vor dem Loch in der Wand blieb sie kurz stehen. In weiter Ferne waren, wie erwartet, Polizeisirenen zu hören. Wenn Lumani im Hotel gewesen wäre, hätte er unmittelbar nach der Schießerei zugeschlagen, in den Augenblicken der Schwäche, noch bevor sie die Möglichkeit gehabt hatte, sich wieder zu sammeln. Trotzdem war sie jetzt sehr vorsichtig, warf noch einen schnellen Blick den Flur entlang – nach links, nach rechts –, bevor sie weiterging.
Das Hotel besaß zwei Ausgänge im Erdgeschoss: den Haupteingang zur Straße hin, durch den sie gekommen waren, und den Hinterausgang genau gegenüber. Ein langer Flur führte in einen Speisesaal, und von dort ging es hinaus in einen ummauerten Garten. Ziemlich ungeeignet als Fluchtweg, aber genau das hatte sich vermutlich gleichzeitig als ihr Vorteil erwiesen. Das Gebäude hatte praktisch nur einen Ausgang, und den konnte Lumani mit seinem Gewehr abdecken. Deshalb hatte er seinen Handlanger allein zu ihrem Zimmer geschickt.
Munroe winkte Neeva mit sich zur Treppe. Auf dem kleinen Absatz zwischen dem ersten Stock und dem Erdgeschoss blieben sie stehen. Munroe schaltete das Telefon ein und suchte Lumanis eingespeicherte
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