Mission Munroe 03 - Die Geisel
dich zum ersten Mal einer mit Gewalt bedrängt hat?«
Neeva war eine lange Weile stumm. »Vierzehn«, sagte sie schließlich.
»Wissen deine Eltern Bescheid?«
»Ja«, flüsterte sie. »Wir hatten schon immer ein enges Verhältnis. Ich habe ihnen immer alles erzählt, sogar als er gedroht hat, mich umzubringen, wenn ich das tue.«
Vierzehn . Genauso alt war Munroe gewesen, als sie sich einem Waffenschmuggler angeschlossen und damit die Ereigniskette in Gang gesetzt hatte, die, wie ein Fluss, der sein Bett verlassen hat, ihre Wahrnehmung der Welt für immer verändern und sie zu der Jägerin – dem Raubtier – machen sollte, die sie geworden war.
»Meine Eltern …«, sagte Neeva, doch bevor sie weiterreden konnte, hob Munroe die Hand und ließ sie verstummen.
Ein Geräusch und Bewegungen hinter dem Wagen hatten ihre Aufmerksamkeit in Beschlag genommen, aber selbst mit leicht geöffneten Fenstern war es eher ein Gefühl, als dass sie hören oder sehen konnte, was da draußen war. Intuition und dazu ihre jahrelange Erfahrung als Jägerin und Gejagte in der Dunkelheit des Dschungels.
Ein Augenblick verstrich.
Und dann drückte Arben sein Gesicht an die Scheibe des Beifahrerfensters, und Neeva schrie auf. Er lachte, widerwärtig und sadistisch, und machte eine Kurbelbewegung mit der Hand.
Munroe streichelte die stumpfe Seite der winzigen Klinge, die sie zwischen ihren Fingern hielt. »Mach es nicht weiter als ein Viertel auf«, sagte sie.
Neeva kurbelte das Fenster knapp zehn Zentimeter herunter.
Arben wartete, wollte, dass sie es noch weiter öffnete, aber als Neeva den Kopf schüttelte, streckte er seine Hand herein und warf ihr ein Päckchen und einen kleinen Beutel auf den Schoß: eine neue Strumpfhose und ein kleines Schminktäschchen.
»Szed össze magad«, sagte er. »Damit du an deinem großen Tag nicht aussiehst wie ein dreckiges Schwein.« Und dann lachte er erneut.
Es war das erste Mal, dass Munroe seine Stimme hörte, und jetzt begriff sie, weshalb sie ausgerechnet mit ungarischen Sprachbrocken überschwemmt worden war. Seine Worte sollten sie provozieren, aber es war Neeva, die reagierte, als hätte sie ihn genau verstanden. Sie zeigte ihm den gestreckten Mittelfinger, sagte: »Leck mich, du Arschgeige«, und wollte das Fenster wieder zukurbeln.
Arben, der immer noch die Hand im Wagen hatte, schlug blitzschnell zu.
Packte Neeva an den Haaren, sodass sie die Scheibe keine zwei Zentimeter bewegen konnte, und riss mit seiner fleischigen Hand daran, sodass ihr Kopf mit einem dumpfen Schlag gegen die Fensterscheibe prallte.
Munroe hörte nicht, ob Neeva vielleicht geschrien hatte.
Das Blut dröhnte in ihren Ohren und übertönte jedes andere Geräusch. Der Druck, das Leiden, die Sehnsucht nach der Erlösung im Schmerz, das alles quoll nun durch den rissigen Staudamm, der dem Ansturm nicht mehr länger standhalten konnte.
Sie stieg aus, glitt über die Motorhaube hinweg und landete direkt vor Arben, noch bevor dieser Neeva richtig losgelassen hatte. Prallte mit ihm zusammen, als er gerade von der Tür zurückwich. Wut und Wahnsinn arbeiteten sich vom Inneren ihres Schädels bis in ihre Hände und Gliedmaßen.
Arben war massig. Stark. Bewaffnet. Aber genau diese Stärken waren auch seine größten Schwächen. Schiere Muskelkraft und die Möglichkeit, andere Menschen allein durch Angst und Einschüchterung gefügig zu machen, ließen Männer faul werden. Überheblich. Langsam.
Sie war zwar niemals so schnell wie eine Pistolenkugel, aber im Nahkampf immer schneller als die Hand, die die Pistole zog. Schnelligkeit bedeutete Leben. Schnelligkeit bedeutete Überleben. Schnelligkeit, geboren aus dem Willen zu leben, aus der Notwendigkeit, dem Gegner immer einen Schritt voraus zu sein, Schnelligkeit, die ihr mit ungezählten sadistischen Messerschnitten eingeimpft worden war. Was uns nicht tötet, macht uns nur schneller.
Munroe traf Arben am Hals, Haut auf Haut, und spürte als Erwiderung einen stechenden Schmerz an ihrer Schläfe. Mit dem Schmerz kam auch die Erleichterung. Erlösung. Gelächter.
Schlag für Schlag kämpfte Munroe, aber nicht mit diesem brennenden, unstillbaren Drang zu töten, der vor vielen Jahren Nacht für Nacht den Unterschied zwischen dem Tod durch Verbluten oder dem Überleben bis zur nächsten Abenddämmerung ausgemacht hatte, sondern um ihn leiden zu lassen. Sie wollte, dass dieser Mann am Leben blieb, so wie die wollten, dass Neeva am Leben blieb.
Entlang des steilen
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