Mission Munroe. Die Sekte
auf die Idee kommen konnte, dass ihre Fähigkeiten am besten zur Geltung kamen, wenn sie die Befehle eines anderen befolgte, der nicht einmal über einen Bruchteil ihres Wissens oder ihrer Erfahrung verfügte, war ihr schleierhaft. Außerdem stand es überhaupt nicht zur Debatte, dass sie den Lakaien spielte und nach der Pfeife eines anderen tanzte. Sie hatte sich auf dieses Unternehmen eingelassen, um ein junges Mädchen nach Hause zu bringen, und man hatte sie darum gebeten, weil sie wie niemand sonst dazu in der Lage war. Wenn die anderen also glaubten, sie würde sich tatsächlich irgendwelchen
Anordnungen unterwerfen, dann hatten sie sich geschnitten.
Ihre drei Reisebegleiter legten ihr Gepäck in den Kofferraum. Gideon war mit Abstand der größte, weswegen er auf dem Beifahrersitz Platz nahm, während die anderen sich auf die Rückbank setzten.
Im Gegensatz zu den anderen, die genügend Sachen für eine längere Reise eingepackt hatten, war Munroe nur mit einer einzigen Garnitur zum Wechseln und einer Jacke, die kaum der Kälte standhalten konnte, losgefahren. Die Sachen passten bequem in den kleinen Rucksack, der jetzt auf ihrem Schoß lag.
Sie hatte mit den Jahren gelernt, nur mit leichtem Gepäck zu reisen. Je mehr man dabeihatte, desto mehr musste man sich kümmern und sorgen, und da jedes Gepäckstück ihre Beweglichkeit einschränkte, wurde es ohnehin früher oder später weggeworfen. Sie würde sich unterwegs alles Notwendige besorgen und nur das behalten, was für das Gelingen des Auftrags unabdingbar war.
Das Taxi fuhr an und reihte sich in den Verkehr ein. Ziemlich aggressiv, fast kamikazeartig jagte der Fahrer Richtung Flughafen-Ausfahrt und auf die Schnellstraße, die sie ins Zentrum der argentinischen Hauptstadt bringen sollte.
Munroe schaute zum Fenster hinaus, wo die Stadt blitzlichtartig an ihr vorbeiraste. Rechteckige Mietskasernen und Wohnviertel im steten Wechsel mit Einkaufszentren und riesigen Reklameschildern. Das eigentliche Zentrum bestand aus insgesamt achtundvierzig Bezirken mit rund drei Millionen Einwohnern, doch die Metropolregion reichte bis weit ins Umland hinein und hatte insgesamt rund dreizehn Millionen Einwohner.
In diesem riesigen städtischen Areal lebte rund die Hälfte der argentinischen Bevölkerung. Wenn man unbedingt die Nadel im Heuhaufen suchen wollte, dann war Buenos Aires mit Sicherheit einer der größten Heuhaufen Südamerikas, wenn nicht sogar der ganzen Welt. Irgendwo dort draußen, unter all den Millionen, befand sich ein Kind, und in einem der vielen Häuser und Wohnblöcke lag die Oase, in der das Mädchen versteckt wurde.
In der Innenstadt wandelte sich das Bild dann erneut. Nicht ohne Grund trug Buenos Aires den Beinamen »das Paris Südamerikas«. Europäische Architektur, baumbestandene Alleen und schlanke, moderne Bauwerke ließen nicht nur die Eleganz der Gegenwart erkennen, sondern trugen auch alle Anzeichen einer in der europäischen Geschichte verwurzelten Kultur.
Kapitel 9
San Telmo, Buenos Aires
Ihr Hotel war im Grunde genommen eher ein einfaches Gasthaus, ein kleines, einstöckiges Gebäude mit Mehr-und Einbettzimmern, einer Gemeinschaftsküche und einem kleinen Wohnbereich. Es lag südlich des Stadtzentrums in einem alten Wohnviertel mit zahlreichen Häusern aus der Kolonialzeit, Kopfsteinpflasterstraßen, Cafés und Milongas , pulsierend und lebendig und farbenfroh. Hier würden sie so lange bleiben, bis Munroe einschätzen konnte, was dieser Auftrag mit sich bringen würde und wie viel Zeit sie dafür benötigte.
Wie Munroe wollte auch Logan bis zum Schluss bleiben. Gideon hatte jedoch nur zwei und Heidi nur drei Wochen Zeit, bevor sie wieder zurück nach Hause mussten. Ohne sich mit Munroe abzustimmen hatten sie, was die Entwicklung und die Dauer des Projektes anging, ihre jeweils eigenen Erwartungen entwickelt. Munroe verfuhr damit ebenso wie mit der Beteiligung der beiden an diesem Projekt im Allgemeinen. Sie ignorierte sie.
Das Grüppchen hatte zwei Zimmer zur Verfügung, direkt nebeneinander. Der Plan der Männer sowie das extrem schmale Budget sahen vor, dass Munroe sich mit Heidi ein Zimmer teilte. Die Wände waren zwar dünn, hatten aber denselben trennenden Effekt wie die vierzehn Sitzreihen im Flugzeug, und darüber war Munroe froh. Weniger froh
war sie darüber, dass sie kein eigenes Zimmer hatte. Mit Heidi war es zwar viel besser, als sich mit Gideon oder Logan arrangieren zu müssen, aber trotzdem … sie war nicht
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