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Mission Munroe. Die Sekte

Mission Munroe. Die Sekte

Titel: Mission Munroe. Die Sekte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taylor Stevens
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Hause zu bringen. Solange sie sich hier in Buenos Aires nur mit der Macht des Übernatürlichen auseinandersetzen musste, war alles in Ordnung.
    Munroe griff nach Logans Akte und fing an zu lesen. Je länger sie las, desto stärker wurde die Wut. Sie fraß sich wie ein Feuer durch ihren Körper, ein Feuer, das nur mit Blut gelöscht werden konnte.
    Es war nicht nur das, was da beschrieben wurde, sondern auch die Tatsache, dass alles ohne strafrechtliche Konsequenzen veröffentlicht und dokumentiert werden konnte: Der PROPHET behauptete, aufgrund seiner göttlichen Erleuchtung nicht mehr an die Gebote der Bibel gebunden zu sein. Für die, die reinen Herzens sind, ist alles rein, so lautete seine Lehre, und so galt für die ERWÄHLTEN nur ein Gebot: Alles ist erlaubt, solange es aus Liebe geschieht. In unzähligen Wiederholungen sagte der PROPHET , dass einzig und allein die Liebe den Ausschlag gab, weder Alter noch Verwandtschaft noch Eheversprechen. Tabus wurden abgeschafft, Schutzwälle niedergerissen, unschuldige Kinder wurden missbraucht, und dieser Missbrauch wurde
bis ins kleinste Detail ausführlich beschrieben, in Wort und Bild.
    Die Lehre des PROPHETEN orientierte sich am Ausspruch des heiligen Augustinus: »Liebe und tu, was du willst.« Sie fand sich in Aleister Crowleys Lehrsatz: »Tu, was du willst, soll sein das ganze Gesetz«, und auch im Wort des Apostel Paulus: »Alles ist erlaubt.« Der PROPHET war der Ansicht, dass es keinen Grund gab, weshalb Kinder nicht auch ganzheitliche sexuelle Wesen sein sollten, solange nur die Liebe die bestimmende Motivation war.
    Die Kinder wehrten sich nicht und protestierten nicht. Man hatte ihnen beigebracht sich unterzuordnen, zu gehorchen, niemals zu fragen. Sie hatten keinerlei Macht, waren nur zum Dienen da, und als die Pädophilen sie zu sich riefen, an wen hätten sie sich wenden sollen? Wer hätte ihnen geholfen? Ihre Eltern, diejenigen, die ihre Kinder hätten schützen müssen, hatten jede Verantwortung abgegeben, um dem PROPHETEN nachzufolgen und ein Teil der ERWÄHLTEN zu sein. Und wurden diese Schändungen, wie extrem sie auch waren, nicht letztlich aus Liebe begangen?
    Nach der Hälfte legte Munroe den Aktenordner beiseite. Sie brauchte unbedingt eine Pause, musste zu Atem kommen und sich zur Ruhe und Vernunft zwingen. Es war sinnlos, sich noch weiter durch die Lektüre zu quälen. Sie hatte das Prinzip verstanden. Die Gefühle, die das bisher Gelesene in ihr aufflammen ließen, erinnerten sie mit nie gekannter Intensität an Dinge, die sie selbst erlebt hatte.
    Jetzt verstand Munroe, was Heidi mit der Bemerkung gemeint hatte, dass die fehlenden Informationen nicht so leicht zu vergessen waren. Und was Logan damit gemeint
hatte, dass das Leid der Kinder in einem riesigen Medienspektakel ausgeschlachtet wurde. Er hatte recht. Wenn man das gelesen hatte, konnte man leicht alles, was zuvor passiert war, übersehen. Dann war die Gefahr groß, dass man vergaß, wie viel weiter und tiefer der Schmerz ging, dass das Leben der Betroffenen eine einzige Verhöhnung der Gerechtigkeit war, dass all diejenigen, die eigentlich die Unschuld der Kindheit wertschätzen, beschützen und respektieren sollten, auf ganzer Linie versagt hatten.
    Sie brauchte den Rest nicht zu lesen, um zu wissen, was da stand. Sie hatte es von Logan gehört und im Verlauf der Gespräche in New York das eine oder andere mitbekommen. Die ersten Gerüchte über Kindesmissbrauch waren nach draußen gelangt, die Behörden hatten begonnen zu ermitteln, und Lehren, die die ERWÄHLTEN zu Anfang noch offen ausgelebt hatten, waren plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwunden. Der PROPHET und seine Repräsentanten schrieben die Geschichte um und verbrannten die Unterweisungsbücher. Gegenüber der Öffentlichkeit und den Gerichten distanzierten sie sich von allem und stritten sämtliche Vorwürfe ab, während sie nach innen auch weiterhin an der Gottgefälligkeit ihres Glaubens festhielten. Erst als die Beweislast immer erdrückender wurde, gestanden die Sprecher des PROPHETEN zähneknirschend, dass manche Gerüchte zutrafen. Trotzdem leugneten sie weiterhin standhaft die Rolle, die der PROPHET und seine Lehre dabei spielten. Stattdessen wälzten sie die Schuld auf ein paar verwirrte Jünger ab, Einzeltäter, die angeblich ohne Wissen des PROPHETEN gehandelt hatten, und behaupteten, dass die Dinge sich geändert hatten.
    Munroe saß etliche Minuten lang still da und dachte nach. Ihr Ziel war ja, die

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