Mission Munroe. Die Sekte
dafür wurden wir ausgebildet. Deswegen bin ich aber nicht weniger Mensch.«
Seufzend blickte sie wieder an die Zimmerdecke. »Wenn es doch bloß so einfach wäre, Mensch zu bleiben. Meine Opfer, die Menschen, die ich getötet habe, sie fressen mich auf. Ich sehe ihnen in die Augen, lechze nach Blut, nehme ihnen das Leben und genieße den Triumph.«
Sie nahm den Blick von der Decke und sah ihn an. Seine Augen beobachteten sie aufmerksam, nicht anklagend, akzeptierend. »Und dann ist es vorbei, und die Wirklichkeit schleicht sich an wie die Morgendämmerung: Ich habe es wieder getan. Es kommt mir so unfair vor, so ungerecht. Ich kann sie so einfach besiegen, so schnell, und sie sind so schwach – zerbrechliche Spielzeuge, die fallen und bluten
und sterben. Wie kann es sein«, sprach sie ihn direkt an, »dass ich das Töten so sehr verabscheue und mich gleichzeitig so sehr danach sehne? Dass es mir so leichtfällt?«
»Jetzt mal ehrlich«, sagte er. »Hast du jemals einen Unschuldigen umgebracht?«
»Immer nur, um mich oder jemand anderen zu verteidigen«, sagte sie. »Bis auf den Ersten, aber das war eine Sache, die sich sehr lange aufgestaut hat. Er ist auch der Einzige, für den ich überhaupt nichts empfinde.«
»Vielleicht ist das das Hauptproblem«, sagte er. »Deine Schuldgefühle.«
Sie stieß ein freudloses Kichern aus. »In Comics funktioniert das immer wunderbar, stimmt’s?« Sie hielt inne, setzte sich im Schneidersitz aufs Bett und blickte ihn unvermittelt an.
»Die Superhelden schützen das Gute und vernichten das Böse«, sagte sie dann. »Sie schaffen Gerechtigkeit, und alle sind glücklich. Niemand verliert ein einziges Wort darüber, wie es ist zu töten.« Sie drehte ihre Hände um und starrte auf die Innenflächen hinab. »Kein Wort über den Blutrausch, die wilde Ekstase, die damit verbunden ist, das Gefühl der Befriedigung, wenn es vorbei ist.« Sie durchbohrte ihn mit Blicken. »Superhelden sind nichts anderes als glorifizierte Serienkiller, Miles. Sicher, sie töten immer nur die Bösen, aber davon einmal abgesehen, was unterscheidet sie eigentlich von einem ganz gewöhnlichen Irren?«
»Hast du dir schon mal überlegt, dass es nicht immer falsch sein muss zu töten?«, erwiderte er. »Vielleicht gibt es ja Menschen, die umgebracht werden müssen. Vielleicht durchbrichst du gerade dadurch, dass du sie tötest, den ewigen Kreislauf aus Schmerz und Leid.«
Sie sah ihn an. »Jedes Mal, wenn ich jemanden umbringe,
packt mich eine gottverdammte Euphorie, das ist wie ein wahnsinnig guter Rausch, Miles! Was unterscheidet mich denn noch von Bundy oder Gacy oder Dahmer oder von mir aus auch von Pieter Willem?«
Bradford blieb einen Augenblick lang stumm, als müsste er seine Worte sorgfältig abwägen. Munroe wusste, dass er versuchte, das Thema Pieter Willem behutsam zu umschiffen, ihren ersten Mord, jenen psychopathischen Söldner, der sie zu dem gemacht hatte, was sie war, und den sie in einer Mischung aus abgrundtiefer Angst und kaltblütiger Berechnung ermordet hatte.
»Dass es dir nicht egal ist«, sagte er. »Das unterscheidet dich. Du bist nicht Willem, und du wirst es niemals sein, gleichgültig, wie sehr er sich darum bemüht hat, dich zu seinem Ebenbild zu formen. Du kannst den Rest deines Lebens damit verbringen, vor seinem Geist wegzulaufen, aus Angst, zu dem zu werden, was du am meisten an ihm verabscheut hast, gequält von all den Dingen, zu denen du fähig bist, oder du kannst deine Fähigkeiten anerkennen und sie nutzen, ohne dich selbst von innen her aufzufressen.«
»Damit redest du der Selbstjustiz das Wort«, erwiderte sie. Keine Frage, kein Vorwurf, lediglich eine Feststellung.
»Kann schon sein«, erwiderte er. »Ich habe genug schlimme Dinge gesehen, um zu wissen, dass man manchmal keine andere Wahl hat, als die Gerechtigkeit selbst in die Hand zu nehmen. Du bist nicht automatisch böse, nur weil es dir leichtfällt zu töten. Du bist nicht automatisch ein Serienkiller, nur weil dein Instinkt dich leitet. Du bist ein Soldat im Krieg. Und da muss man tun, was man tun muss.« Er unterbrach sich kurz, dann fuhr er mit sanfter Stimme fort: »Du hast eine Gabe, Michael, und du hast ein Herz. Du solltest beides nutzen.«
Stille legte sich über das Zimmer. Sie sah in seine Augen. Darin lag ein solch tiefgründiges Verstehen und Akzeptieren, dass sie beinahe glaubte, sich hineinstürzen und glücklich darin ertrinken zu können. Zueinander gebeugt, Atem an Atem und Auge
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