Mission Munroe. Die Sekte
Tür war geöffnet. Sie hatte ihm bewiesen, dass sie ihm geben konnte, was er wollte, und das war die Voraussetzung dafür, dass er ihr gab, was sie von ihm haben wollte.
»Bist du deshalb in dieser Branche gelandet?«, fragte er.
»Zum Teil«, antwortete sie. »Als es vorbei war, bin ich in die Staaten gegangen. Habe mich durch die Schulzeit gequält, einen Abschluss gemacht, es als Angestellte bei mehreren Firmen probiert und bin jämmerlich gescheitert. Es gibt viele Leute, die ihren Chef am liebsten tot sehen würden, aber hast du eine Vorstellung davon, wie schwer ein normaler Job auszuhalten ist, wenn man die körperlichen und mentalen Fähigkeiten besitzt, jeden tyrannischen Vorgesetzten umzubringen und damit auch noch durchzukommen?« Mit schiefem Grinsen und einem übertriebenen Augenrollen fügte sie hinzu: »Normal sein ist etwas, was ich nicht besonders gut kann.«
Gideon musste unwillkürlich lachen. Dann wurde er wieder ernst. »Logan hat erzählt, dass du ziemlich dicht an Hannah dran bist. Er scheint sich große Hoffnungen zu machen.«
»Das stimmt«, erwiderte sie.
»Gehst du rein?«
»Das habe ich vor.«
»Ich frage mich, ob sich in der Zwischenzeit einiges verändert hat«, sagte er. »Davon hört man ja immer, und wenn es stimmt, dann ist das toll für die Jüngeren, aber ich habe leider nicht mehr besonders viel davon, oder?«
»Nein«, sagte sie. »Ich schätze mal, du hast überhaupt nichts davon.« Dann entstand ein kurzer Moment des Einverständnisses.
Munroe rutschte mit gefalteten Händen, die Ellbogen auf dem Tisch, ein Stück dichter an ihn heran. Bei Gideons Größe und seinem Jähzorn war es naheliegend, ihn für einen grobschlächtigen Wüstling zu halten, aber nur mit roher Gewalt schaffte es kein Mensch von dort, wo Gideon angefangen hatte, bis in die Führungsspitze eines großen Unternehmens. Er schleppte eine gewaltige Last mit sich herum. Daher war es für Munroe absolut notwendig, dass er alles loswurde, was ihn beschäftigte und belastete. Vorher würde keines ihrer Worte auch nur das Geringste bewirken.
Also wartete sie einfach ab.
Gideon streckte die Beine aus, legte einen Arm über die Rückenlehne seines Stuhls und blickte sie lange schweigend an.
»Die meisten Leute kennen nur das, was sie im Fernsehen gesehen haben«, sagte er schließlich. »Und die Berichte in den Nachrichtensendungen sind zum großen Teil nichts als Sensationsmache, die an die niedersten Instinkte appelliert. Hast du schon mal eine Sendung über die ERWÄHLTEN gesehen?«
Munroe schüttelte den Kopf.
»Ist wahrscheinlich besser so«, meinte er. »Es ist jedes Mal dasselbe. Sie stürzen sich wie die Geier auf unseren Schmerz und machen sich noch darüber lustig, nur um damit Quote zu machen. Eigentlich müssten meine Freunde und ich mittlerweile mitbekommen haben, dass diese Typen sich gar nicht für uns interessieren. Immer wenn irgend so ein Reporter uns weismachen will, dass es ihm tatsächlich um uns geht, dass er unsere Geschichte erzählen will, so wie sie wirklich war, sind wir am Ende die Deppen, und es kommt der übliche reißerische Mist dabei raus. Für
die sind wir bloß ein saftiges Honorar, mehr nicht. Die werden bezahlt, und wir werden verarscht. Wieder mal.
Versteh mich nicht falsch. Der sexuelle Missbrauch hat tatsächlich stattgefunden. Sogar regelmäßig. Aber das war nur eines von vielen Dingen, die aus meiner Kindheit so ein beschissenes Chaos gemacht haben. Bloß eines. Da gab es auch extreme Disziplinierung, die Trennung von unseren leiblichen Eltern und Geschwistern, wir haben weder eine vernünftige Bildung noch medizinische Betreuung bekommen, wurden zum unbedingten Gehorsam gezwungen oder aber irgendwann verstoßen, sodass wir uns von einem Tag auf den anderen in genau der Welt zurechtfinden mussten, von der man uns unser ganzes Leben lang ferngehalten hat. Aber darüber berichtet kein Schwein. Das ist eben nicht unterhaltsam genug. Deshalb geht es immer nur um ›Sex, bla, bla, bla. Bla, bla, bla, Sex‹, und am Ende stehen wir da wie irgendwelche Irren – schwer geschädigte Ware, über die die Leute ein paarmal den Kopf schütteln können, bevor sie sich den Abend mit dem nächsten Nervenkitzel versüßen. Kannst du dir vorstellen, was das im Alltag für mich bedeutet?«
Er beugte sich vor und richtete den gestreckten Zeigefinger auf sie. »Nicht genug damit, dass ich für die Fehler meiner Eltern büßen muss«, stieß er hervor. »Nicht genug damit, dass
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