Mission Walhalla
auch ein Motiv. Wobei ich nichts dergleichen brauchen werde, wenn Himmler erst mal erfährt, was Sie hier in Paris getrieben haben. Er ist nicht so verständnisvoll wie ich. Von Männern, die die Uniform seiner heißgeliebten SS tragen, erwartet er Benehmen. Und ich habe den Verdacht, dass seine Meinung über Ihr Benehmen mehr Gewicht haben wird als alles, was General Schaumburg zu Ihrer Verteidigung sagen könnte.»
«Sie meinen das wirklich ernst, nicht wahr?»
«Ich halte es für eine ernste Sache, wenn jemand versucht, mich mit dem Inhalt eines chemischen Feuerlöschers zu vergiften. Und übrigens, ich hab am Alex nachgefragt. Ehe Sie Polizist wurden, waren Sie bei der Feuerwehr.»
«Ich wüsste nicht, was das beweisen soll.»
«Es beweist, dass Sie sich mit Feuerlöschern auskennen. Und es erklärt, wieso der fehlende Verschluss des Feuerlöschers, der mich beinahe umgebracht hätte, in Ihrem Hotelzimmer gefunden wurde.»
«Wer sagt das?»
«Der Zeuge.»
«Wer soll das sein? Meinen Sie wirklich, das Kriegsgericht glaubt dem Wort eines Franzosen eher als dem eines deutschen Offiziers?»
«Nein. Aber vielleicht glaubt es meinem Wort eher als dem eines schmierigen kleinen Zuhälters.»
«Das wird sich zeigen», sagte Willms. «Da werden wir wohl abwarten müssen.»
Er stieß einen müden Seufzer aus, lehnte sich in seinem Sessel zurück und zog gleichzeitig eine Schreibtischschublade auf. Ich wusste, was er vorhatte, noch bevor ich die Pistole sah, und nun kam es darauf an, wer schneller war, er oder ich. Ich musste nur den Messingknopf an der Lasche meiner Pistolentasche öffnen, aber dennoch, ich war kein Westernheld, und er hatte die Luger eher in der Hand als ich meine Walther P38. Wahrscheinlich rettete mir der Schwenkriegelverschluss der Walther das Leben. Wie die meisten Polizisten hatte ich mir angewöhnt, sie stets geladen und entsichert zu haben. Ich musste bloß noch abdrücken. Willms hätte das wissen müssen. Die Luger war sehr viel umständlicher zu handhaben, weshalb Polizisten sie auch nicht benutzten, und als seine Pistole endlich schussbereit war, befahl ich ihm bereits, die Hände hochzunehmen. Doch ehe ich den Satz beenden konnte, sprang er auf und richtete die Waffe auf mich. Ich zielte auf seinen Kopf und drückte ab.
Einen Moment lang dachte ich, ich hätte ihn verfehlt.
Willms setzte sich, aber nicht zurück in seinen Sessel, sondern auf den Boden, wie ein Pfadfinder, der sich am Lagerfeuer aufs Hinterteil plumpsen lässt. Dann sah ich das Blut, das aus dem Einschussloch auf seiner Stirn rann. Er kippte zur Seite und blieb ganz ruhig liegen, nur seine Beine streckten sich langsam aus, als wollte er es sich zum Sterben bequem machen. Und die ganze Zeit über färbte sein Blut den hellen Teppich dunkelrot, als hätte ein erboster Restaurantgast eine Karaffe Rotwein auf den Boden geschüttet, weil er ihm nicht schmeckte.
Mit zitternden Händen sicherte ich die Walther und schob sie zurück in die Pistolentasche. Ich fragte mich, ob es nötig gewesen war, ihm in den Kopf zu schießen. Andererseits konnte man leicht selbst ums Leben kommen, wenn man einem verwundeten Gegner noch Gelegenheit ließ, seine Waffe abzufeuern.
Ich kniete neben der Leiche, sicherte auch die Luger, und erst dann fielen mir all die Generäle und Grafen und Prinzen wieder ein, die mit Willms unter einer Decke steckten, und mir wurde klar, dass ich gewaltig in der Klemme steckte. Da war es wohl besser, wenn Willms’ Tod nicht unbedingt wie Mord aussah. Ich tauschte die Luger gegen meine Walther aus. Dann fiel mein Blick auf Willms’ Uniformjacke und seine Pistolentasche, und ich nahm seine Dienstwaffe, ebenfalls eine Walther, an mich, ehe ich die kalte Luger zurück in die Schublade legte. Ein ziemliches Durcheinander, aber Selbstmord würde die sauberste Lösung abgeben – für die französische Polizei, die Sipo und die hohen Tiere drüben im Hotel Majestic. Ich hätte gern erfahren, ob sie sich überhaupt die Mühe machen würden, an Willms’ Kopf nach Schmauchspuren zu suchen. Selbstmorde sind nämlich bei Polizisten auf der ganzen Welt überaus beliebt, weil sie in den allermeisten Fällen die Morde sind, die am leichtesten aufzuklären sind. Man hebt einfach den Teppich an und kehrt sie darunter.
Ich griff zum Telefon und bat das Fräulein vom Amt, mich mit der Polizeipräfektur in der Rue de Lutèce zu verbinden.
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Kapitel 23 DEUTSCHLAND 1954
Ich setzte mich auf und rieb
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