Mister Aufziehvogel
ein.
Mitten in einem Traum schreckte ich aus dem Schlaf hoch. Ich konnte mich nicht erinnern, was im Traum passiert war, aber es mußte etwas Aufwühlendes gewesen sein, denn mir hämmerte das Herz. Im Zimmer war es noch stockdunkel. Nach dem Aufwachen wußte ich eine Zeitlang nicht, wo ich mich befand. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, daß ich in meinem eigenen Haus war, in meinem eigenen Bett. Der Wecker zeigte, daß es kurz nach zwei war. Daß mein Schlaf-Wach-Rhythmus derart durcheinandergeraten war, lag wahrscheinlich am Aufenthalt im dunklen Brunnen. Als sich meine Verwirrung gelegt hatte, verspürte ich Harndrang. Das war wahrscheinlich das Bier, das ich am Abend getrunken hatte. Ich hätte lieber weitergeschlafen, aber da war nichts zu machen. Als ich mich in die Notwendigkeit geschickt hatte und mich im Bett aufsetzte, streifte meine Hand die Haut der Person, die neben mir schlief. Das war für mich nicht weiter überraschend; da schlief Kumiko ja immer. Ich war daran gewöhnt, daß jemand neben mir schlief. Dann aber kam mir zu Bewußtsein, daß Kumiko nicht mehr bei mir war. Sie war von zu Haus ausgezogen. Jemand anders schlief neben mir.
Ich hielt den Atem an und schaltete die Nachttischlampe ein. Es war Kreta Kano.
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D IE FORTSETZUNG VON KRETA KANOS GESCHICHTE
Kreta Kano war splitternackt. Zu meiner Seite des Bettes gewandt, lag sie schlafend da, hatte nichts an, nicht einmal eine Decke, und zeigte mir zwei wohlgeformte Brüste, zwei kleine rosige Brustwarzen und, unter einem vollkommen flachen Bauch, ein schwarzes Schamhaardreieck, das aussah wie eine schattierte Fläche in einer Zeichnung. Ihre Haut war sehr weiß und schimmerte wie neu. Ohne mir im mindesten erklären zu können, wieso sie da war, starrte ich weiter ihren schönen Körper an. Sie hielt die Knie eng zusammen und leicht angewinkelt, und ihre Schenkel lagen vollkommen parallel aufeinander. Ihr Haar fiel vornüber und bedeckte halb das Gesicht, so daß ich ihre Augen nicht sehen konnte, aber sie schlief offensichtlich tief und fest: Als ich die Nachttischlampe eingeschaltet hatte, war sie nicht im mindesten zusammengezuckt, und ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ich selbst war jetzt allerdings hellwach. Ich holte eine dünne Sommerdecke aus dem Schrank und breitete sie über ihr aus. Dann schaltete ich die Lampe aus, ging, im Pyjama, wie ich war, in die Küche und setzte mich für eine Weile an den Tisch.
Mir fiel mein Mal wieder ein. Die Stelle an meiner Wange fühlte sich noch immer etwas warm an. Keine Frage, es war noch da - ich brauchte nicht erst im Spiegel nachzusehen. Das war keines von den Wehwehchen, die über Nacht von selbst verschwinden. Ich dachte daran, sobald es draußen hell wurde, im Telefonbuch die Nummer eines Dermatologen in meiner Nähe herauszusuchen; aber was sollte ich antworten, wenn der Arzt mich fragte, was ich für die mögliche Ursache des Flecks hielte? Ich war zwei oder drei Tage lang in einem Brunnen gewesen. Nein, das hatte nichts mit meiner Arbeit oder sonstwas zu tun gehabt; ich war da nur hinuntergestiegen, um ein bißchen nachzudenken. Ich hatte gemeint, der Grund eines Brunnens sei dafür ein ganz geeigneter Ort. Nein, Lebensmittel hatte ich keine mitgenommen. Nein, der Brunnen befand sich nicht auf meinem eigenen Grund und Boden; er gehörte zu einem anderen Haus. Einem leerstehenden Haus bei mir in der Nähe. Ich war ohne Erlaubnis hineingegangen. Ich seufzte. Das konnte ich natürlich nie jemandem erzählen. Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch, und ohne daß ich es eigentlich wollte, kreisten meine Gedanken mit einem Mal sehr plastisch und detailliert um Kreta Kanos nacktem Körper. Sie schlief tief und fest in meinem Bett. Ich dachte an das eine Mal, als ich mich im Traum mit ihr vereinigt hatte; sie hatte Kumikos Kleid getragen. Ich meinte noch immer die Glätte ihrer Haut zu spüren, das Gewicht ihres Körpers. Ohne eine gründliche, schrittweise Untersuchung dieses Ereignisses würde ich nicht den Punkt ermitteln können, an dem die Wirklichkeit endete und das Unwirkliche begann. Die Wand, die diese beiden Sphären voneinander trennte, hatte sich aufzulösen begonnen. Zumindest in meiner Erinnerung existierten Wirkliches und Unwirkliches offenbar mit gleichem Gewicht und gleicher Lebendigkeit nebeneinander. Ich hatte mich mit Kreta Kano körperlich vereinigt und es zugleich nicht getan.
Um diesen Wirrwarr von sexuellen Bildern aus dem Kopf zu bekommen, mußte
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