Mister Peanut
bevor er antworten konnte. »Ja.«
»Sie ist hübsch.«
Er schwieg. Zu antworten hieße, sie beide zu vergleichen, was streng genommen unmöglich war. Als Susan nichts mehr sagte, fuhr er weiter.
»Sie hat mich gefragt, was ich in Ihrem Auto verloren habe«, sagte sie einige Minuten später. »Ich habe ihr erklärt, dass Sie mich zum Krankenhaus mitnehmen.«
Sheppard fuhr wieder so langsam, dass sie gelegentlich von anderen Autos überholt wurden.
»Sie hat gesagt, Sie würden sich verspäten, ich solle schon vorgehen.«
Wann immer er nach rechts oder links abbog, trafen seine Hände sich oben auf dem Lenkrad, nur um nach vollendetem Manöver wieder in die Zehn-vor-zwei-Stellung zurückzurutschen.
»Ich wusste, dass Sie sich nicht verspäten würden.« Sie drehte den Seitenspiegel, bis sie ihr Gesicht darin betrachten konnte. Zufrieden drehte sie ihn zurück und setzte sich auf. »Deswegen habe ich mich bedankt und bin einfach sitzen geblieben.«
Sie hat alles unter Kontrolle, dachte Sheppard. So wie Marilyn beim Tennis gab Susan im Leben das Tempo vor, und falls er inzwischen irgendetwas gelernt hatte, dann nur, dass jede Anstrengung seinerseits, die Führung an sich zu reißen, insgesamt das Spiel verdarb. Zwei ganze Wochen lang erschien sie morgens in der Garage. Auf nichts freute er sich mehr als auf den Moment, wenn er die Tür öffnete und sie dort sitzen sah, dem Auto ebenso zugehörig wie die Reifen und gleichzeitig so überraschend wie eine Katze, die vom Fahrersitz springt und über den Rasen davonspaziert. Er ging absichtlich langsam zum Auto, um so viel wie möglich von ihr aufnehmen zu können, bevor sie während der Fahrt in Schweigen und Blindheit verfielen. Ihr kastanienbraunes Haar kringelte sich im Nacken und war noch feucht vom Duschen, ihre Oberlippe, der Zwillingshöcker des Philtrums, von Sommersprossen übersät. Er nahm auf dem Fahrersitz Platz, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und ließ den Wagen an, nahm den Fuß von der Bremse, legte den Leerlauf ein und schob den Schalthebel hin und her, bevor er den Rückwärtsgang einlegte, wobei jene letzte Bewegung ihm erlaubte, einen Blick auf ihre Hände zu werfen. Sie hatte lange, dick geäderte Hände, deren Mittelhandknochen so deutlich hervortraten wie die Knochen einer Fledermaus mit gespreizten Flügeln.
»Heute Abend kann ich Sie nicht nach Hause fahren«, sagte er und würgte den Motor ab. Sie standen auf dem Krankenhausparkplatz. »Ich habe Bereitschaftsdienst.«
»Was für ein glücklicher Zufall«, sagte sie, »ich auch.«
Das war an einem Mittwoch. Zweimal im Monat übernahm Sheppard den Vierundzwanzig-Stunden-Dienst, eine Schicht von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr des darauffolgenden Tages. Am Wochenende herrschte Hochbetrieb, was lediglich ein Euphemismus für Chaos war, besonders jetzt, Anfang Juni, wenn mehr Segler als üblich auf dem See unterwegs waren, sich die Unfälle häuften und mehr Halbstarke auf dumme Gedanken kamen. Erst letzten Monat hatten sie einen Sechzehnjährigen aufgeben müssen, der von einem Boot in den Außenbordmotor gerutscht war. Sein großer Bruder, dem der Sturz entgangen war, hatte den Motor gestartet und Hände, Arme und das rechte Bein des Opfers geschreddert; sechs Finger, die Mesenterialarterie sowie die innere Beckenarterie waren durchtrennt worden, bevor die Rotorblätter die Kopf- und Armvenen des Jungen zerschnitten hatten. Als er auf dem OP-Tisch lag, hatte er bereits über vier Liter Blut verloren; Sheppard beugte sich über den massakrierten, vor Schock milchweißen Jungen und erstarrte. Die rechte Körperhälfte sah aus, als hätte ein mythologisches Ungeheuer sie zerfetzt, und die sich aufstülpenden Schnittwunden entblößten Adern, Sehnen und auf derart ekelhafte Weise zerfetztes Muskelgewebe, dass sofort klar war, er würde beide Glieder amputieren müssen, wollte er dem Verletzten die geringste Überlebenschance lassen. Der Junge starb binnen weniger Minuten. Das Unglück verzerrte das Gesicht des Bruders, während die Eltern mit offenem Mund danebenstanden und die Neuigkeiten mit einer Art Ehrfurcht entgegennahmen. Dann wurde ihr übermächtiger Kummer allmählich fassbar, und sie legten wie in einem qualvollen Gerangel beschützerisch die Arme umeinander. Angesichts solcher Unfälle, wenn der Tod sich nicht bloß ereignete, sondern aus heiterem Himmel hereinbrach, war Sheppard unendlich dankbar für seine Sicherheit, für sein sorgenfreies Leben. Für das unfassbare
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