Mister Peanut
und dann machten sie einen Parkplatz ausfindig vor einem Geschäft, das schon geschlossen war, sie fuhren in enge, bucklige Gassen mit Pfützen und fensterlosen Mauern, in von der Straße nicht einsehbare Ecken, in denen sich die Klimaanlagen der Häuser versteckten, wo sich der Müll sammelte und Fallrohre verliefen und wo an den Hintertüren Schilder mit der Aufschrift B ITTE KLINGELN oder L IEFERANTENEINGANG hingen.
»Können wir uns nicht einfach mal in einem richtigen Bett lieben?«, fragte Susan eines Tages.
Sheppard war von dieser Anfrage enttäuscht. Obwohl Monate ins Land gegangen waren, hatte er sie noch kein einziges Mal komplett nackt gesehen, und insgeheim wollte er das auch gar nicht. Halb angezogen erschien sie ihm noch verführerischer, sie war wie die armlose Venus von Milo oder die kopflose, geflügelte Nike von Samothrake; gerade der Umstand, dass immer etwas fehlte, verlieh ihr eine gewisse Perfektion. Es lag daran, wie sie aussah, wenn sie dieses oder jenes tat , und manchmal hob Sheppard, wenn er ihre Absätze durch den Flur klappern hörte, beim Gespräch mit einem Kollegen den Blick vom Fußboden, um nur ihre Fesseln, die schlanken Waden und den knielangen Rocksaum vorbeirauschen zu sehen. Manchmal bestellte er sie in sein Arbeitszimmer und hieß sie um den Schreibtisch herumkommen, um seine Hand an ihrem Schenkel hinaufzuschieben, unter den Rock und zwischen ihre Beine. Sie ließ sich seinen festen Griff gefallen, verströmte ihre unglaubliche Körperwärme und schlug die Lider nieder wie eine Schlafpuppe, die langsam in die Waagerechte gebracht wird. Um schließlich doch zu widerstehen.
»Wäre das nicht möglich?«, fragte sie.
Er wurde unvorsichtig.
Anlässlich der klinikinternen Halloweenparty beschloss Sheppard, sich als Frau zu verkleiden. Er rasierte sich sogar die Beine, und Marilyn musste lachen, als sie seine nackten Schenkel und den schwarzen Haarklumpen im Abfluss sah. »Wie schafft ihr Frauen das bloß jeden Tag?«, fragte er. Marilyn schminkte ihn, verpasste ihm falsche Wimpern von einer Länge, die einer Filmdiva Ehre gemacht hätten, Lippen so rot wie sein MG und Wangen, die rosig leuchteten wie die eines Betrunkenen. Er setzte sich eine voluminöse Perücke auf und trug das verführerischste Kleid, das Marilyn in seiner Größe auftreiben konnte. Als sie nebeneinander vor dem Spiegel standen – Marilyn ging als Alice im Wunderland und hielt eine Flasche in der Hand, auf der T RINK MICH stand –, sagte sie: »Gott sei Dank ist Chip ein Junge.« Als er sie fragte, wie sie das meine, antwortete sie: »Weil du ein hässliches Mädchen wärst.« Sheppard kippte zwei Martinis, um sich Mut anzutrinken, und überließ das Autofahren Marilyn, die selbst schon einen sitzen hatte. Arm in Arm betraten sie den Raum – die Party fand in der Cafeteria der Klinik statt –, und er entdeckte Susan auf den ersten Blick. Sie war gekleidet wie ein Mann, wie Sheppards Vater, um genau zu sein, sie hatte sich einen Schnurrbart angeklebt, die gleiche kleine, runde, schwarz gerahmte Brille aufgesetzt und das Haar mit Pomade zurückfrisiert. Sie kam auf ihn zu, auch sie war unvorsichtig geworden, immerhin stand Marilyn direkt neben ihm. »Haben Sie auch eine Pfeife, Miss?«, fragte sie, und Sheppard antwortete: »Ja«, zog eine aus seinem Ausschnitt und reichte sie ihr. Sie steckte sich das abgekaute Mundstück zwischen die Lippen und ließ die schwarzen Groucho-Marx-Augenbrauen tanzen, bevor sie Sheppard mit dem speichelnassen Ende an die Brust tippte. »Nun gut«, sagte sie, »ich bin Dr. Sam!« Die sprachlose Marilyn warf ihm einen angeekelten Blick zu. Er zuckte mit den Achseln und schaute Susan nach, die sich mit der Schulter einen Weg durch die Menge bahnte. »Ich bin Dr. Sam!«, rief sie und kniff Donna Bailey in den Hintern. Er trank noch mehr. Er mischte sich unters Volk. Er wusste zu jedem Zeitpunkt, wo Susan gerade war. Marilyn redete mit ihm; er redete mit anderen und gab vor zuzuhören, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Er sah Susan mit einem der angehenden Fachärzte tanzen, Dr. Stevenson, und näherte sich dem Paar. Selbst unter der weiten Hose und der viel zu großen Anzugjacke, deren Ärmel sie hatte umkrempeln müssen, konnte er noch ihre schlanke, knabenhafte Figur erkennen.
»Darf ich?«, fragte er.
Stevenson war ein hochgewachsener Mann, durchtrainiert und breitschultrig, und Susan schien ein wenig enttäuscht, als Sheppard so unvermittelt auftauchte. Aber das war
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