Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
wie. Er wusste nicht, was als Nächstes geschehen würde. Und der einzige Weg, es zu erfahren, war, es geschehen zu lassen.
    Verblüfft stand er vom Stuhl auf, ging zum Küchenschrank und holte eine Dose Erdnüsse aus seinem Geheimvorrat verbotener Lebensmittel. Er kippte sich eine Portion Nüsse in die Hand, aß sie und wischte sich die Salzreste am Hosenbein ab. Er betrachtete den munteren Mr. Peanut, der sich wie zur Begrüßung an den Zylinder tippte, und dachte darüber nach, dass eine einzige Erdnuss ausreichen würde, um Alice zu töten.
    Natürlich!, dachte David.
    Nun musste er sie nur noch finden.
    Keine Frage, seine Frau war sehr intelligent, dennoch hielt er es für unmöglich, dass sie spurlos verschwunden war. Aber nachdem er ihren Schreibtisch durchwühlt und ihren Laptop gefunden hatte (Festplatte gelöscht), schien es, als hätte sie genau das getan.
    In der Überzeugung, irgendwo müsse sich ein Hinweis verstecken, machte David sich daran, das Apartment auf den Kopf zu stellen. Da er nicht genau wusste, wonach er eigentlich suchte, fing er mit ihrem Kleiderschrank an. Er holte die Kisten mit ihren alten Klamotten aus den oberen Regalen und wühlte darin herum, wobei er hin und wieder innehielt, um am Stoff zu schnuppern, der immer noch nach Alice roch, oder sich daran zu erinnern, wie sie in einem bestimmten Kleid ausgesehen hatte, an die unzähligen Male, als sie ihm morgens vor der Arbeit eines vorgeführt hatte, nicht ohne vorher mit dem Fuß aufgestampft zu haben, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, damit er sie im Ganzen betrachtete, und dann fragte sie: »Wie sehe ich aus?«, so als sei sie, um sich selbst sehen zu können, darauf angewiesen, dass er sie sah. Er durchsuchte die Pullover- und T-Shirt-Stapel und die mehrstöckigen Schuhregale (Alice trug Pumps lieber als Stilettos) und dachte an ihre Füße, die schon lange vor dem restlichen Körper dick gewesen waren, Füße, an denen man keinen einzigen Knochen hatte erkennen können und die in dicke Fesseln übergingen. »Ich habe die Füße meines Vaters«, hatte sie oft gesagt. »Sollten wir ein Mädchen bekommen, erbt es hoffentlich deine Füße.« Er brütete über alten Familienfotos, die Alice im Kindesalter zeigten, fünf mal siebeneinhalb Zentimeter große Abzüge, auf deren Rand das Datum eingedruckt war und deren Farben im Laufe der Zeit verblasst waren. Die Kontraste dieser Fotos wirken weichgespült wie in einem Traum, wie in einer fernen Erinnerung. Traurig stellte David fest, wie wenig er über ihre Kindheit wusste, und noch trauriger war, wie wenige glückliche Momente es in ihrer Vergangenheit gegeben hatte, von denen sie ihm hätte erzählen können. Auf einem Bild war sie etwa fünf Jahre alt, trug ein Polohemd und Jeans und das kastanienbraune Haar so kurz, dass sie wie ein kleiner Junge aussah. Sie stand neben ihrem Golden Retriever am Strand, und dieser Hund war in ihrer Erinnerung ein Held und für immer in ihrem Herzen, weil er sie gerettet hatte, wann immer sie über den Lattenzaun hinter dem Haus geklettert war. Princess war nachgesprungen und ihr nachgetrottet, hatte ihr Handgelenk vorsichtig ins Maul genommen und sie wieder nach Hause geführt; da die Hündin aber so viel bellte (was im Haus nicht gestattet war), gab der Vater sie eines Tages weg, genauso wie später Alice. David fand alte Fotos von sich und Alice, die er vergessen hatte, und an ihren Gesichtern konnte er erkennen, dass sie früher einmal glücklich gewesen waren. Er fand Aktenmappen voll mit Briefen, die sie einander geschrieben hatten, eine Kommunikationsform, die ebenso ausgestorben war wie die Dinosaurier und die Filmrolle im Fotoapparat, und David fühlte einen Stich, als ihm die Banalität ihrer Schulmädchenschrift auffiel; ihr Schriftbild allein verströmte eine gewisse Unschuld: die harmlosen Rundungen der kleinen b sund d s, die süßen, missratenen Proportionen ihrer a s und g s. Solche O s könnten keiner Fliege etwas zuleide tun, dachte er, und selbst Alice’ z s zielten auf Gefälligkeit ab. Sie war ein guter Mensch und eine liebende Ehefrau, und er musste sie ausfindig machen, um zu erfahren, wie es weiterging, weswegen er fortfuhr, die Wohnung auf den Kopf zu stellen. Er holte Blechdosen herunter, die Alice mit X MAS beschriftet hatte und in denen verhedderte Lichterketten lagen, egal, wie umsichtig Alice sie im Vorjahr aufgewickelt hatte. Die Schnüre sahen aus wie zusammengerollte Schlangen in einer Grube. Auf anderen

Weitere Kostenlose Bücher