Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
seine Frau erfuhr, was er an jenem spektakulären Vormittag über dem Mount Waialeale gedacht hatte. Die Wolken rissen auf. Oben auf dem Gipfel befand sich ein kleiner See, der in diesem kurzen Moment der Klarheit und des Lichts wie ein leuchtendes Auge blinzelte.
    »Sind Sie angeschnallt?«, fragte der Pilot.
    »Ja«, antwortete Alice.
    »Dann los«, sagte er. Alice schob die Tür auf, und der Wind klaubte die Blume aus ihrem Haar. Der Pilot ließ den Helikopter schweben und hielt die Position. Alice drehte die Urne um und kippte die Asche aus, die unter der Druckwelle der Rotorblätter sofort verschwunden war. Als er das sah, nahm David plötzlich ihre ganze bisherige Geschichte als ein Kontinuum wahr: von der ersten Idee, ein Kind zu bekommen, über ihre endlosen Diskussionen bis zur Zeugung; vom Ultraschall über die Totgeburt bis hin zur Einäscherung; die Entwicklung des Kindes von einer Vorstellung zu einem lebendigen Wesen und schließlich hin zum Staub. In diesem Augenblick wurde David auf schmerzliche Weise klar, was er verleugnet hatte – vor Harold, vor Alice und am meisten vor sich selbst: dass er erst in dem Augenblick, als er die Asche seines Kindes fallen sah und der weiße Staub sich mit dem See, dem Berg, dem Himmel vereinte, glauben konnte, dass es den Jungen wirklich gegeben hatte.

 
     
     
     
    A ls seine Ehefrau ermordet wurde, schlief Detective Sheppard tief und fest. Er träumte. Er war, wie so oft, auf dem Schlafsofa am Fuß der Treppe eingenickt, als er davon geweckt wurde, dass Marilyn seinen Namen schrie. Für eine Schrecksekunde hielt er inne, er war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt gerufen hatte – er spielte sogar mit dem Gedanken, sich umzudrehen und wieder einzuschlafen –, als sie seinen Namen zum zweiten Mal schrie. An den Inhalt seines Traums sollte er sich später ebenso klar und deutlich erinnern wie an die Ereignisse des Vorabends; tatsächlich warf seine Erinnerung die Bilder derart durcheinander, dass er das eine nicht mehr vom anderen trennen konnte – ein Umstand, der ihn bis zum heutigen Tag belastete.
    In seinem Traum hielt er ihr zweites Kind im Arm. Marilyn war erst im vierten Monat schwanger, aber in seinem Traum war das kleine Mädchen schon zur Welt gekommen, und nun hielt er das Windelpaket im Arm und sah ihm ins Gesicht. Er kniete am Strand hinter dem Haus, am Ufer des Eriesees, lange vor seiner Flucht nach New York, vor einer halben Ewigkeit, als er noch in Ohio lebte. Marilyn stand im Wasser und schaute ihm zu, während die Wellen an ihre Fußknöchel schlugen. Im Gesicht des Kindes konnte er seine und Marilyns Züge erkennen, es hatte Marilyns hohe Wangenknochen und nussbraune Augen und seine vollen Lippen, das Ganze aber auf so wundervolle, neue Weise kombiniert, dass er es sich vorab niemals hätte vorstellen können. Er lächelte das Kind an, und es lächelte zurück. Diese Reaktion ließ sein Herz vor Liebe glühen. Und dann hörte er Marilyn seinen Namen schreien.
    Er rollte vom Schlafsofa herunter und nahm die ersten drei Treppenstufen mit einem Satz. Er fürchtete, Marilyn könnte Krämpfe haben – schon während der ersten Schwangerschaft hatte sie unter vorzeitigen Wehen gelitten –, und er rief sich die entsprechende medizinische Hilfestellung in Erinnerung, während er sich am Geländer hinaufzog. Das Schlafzimmer lag am Kopf der Treppe. Er spürte den Wind, der durch das geöffnete Fenster vom See hereinblies, und seine Augen waren noch dabei, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, als ihn sein eigener Schwung über die Schwelle stolpern ließ. Er sah eine Gestalt …
    Er spürte einen Schlag im Nacken. Seine Knie gaben nach, schwarze Tränen füllten seine Augen. Und dann, kurz bevor er das Bewusstsein verlor, hörte er Marilyn zum letzten Mal seinen Namen schreien.
     
    Möbius – einen anderen Namen wollte der Mann nicht nennen – weigerte sich, mit Hastroll zu sprechen. Er wollte mit Sheppard reden, mit Sheppard allein. Hastroll könne ihn foltern, sagte er, ihm ein Wahrheitsserum injizieren oder ihn nackt ausziehen und grün und blau schlagen – er bestehe darauf, mit dem Doktor zu sprechen.
    »Sie meinen den Detective«, sagte Hastroll.
    »Ich meine: jetzt sofort.«
    Hastroll warf Möbius durch die Gitterstäbe einen schiefen Blick zu und schüttelte den Kopf. »Ich verhandele nicht.«
    »Auch gut«, sagte Möbius, »dann werde ich mich umbringen.«
    Hastroll sah den kleinen Mann gleichgültig an, dann fasste er sich in

Weitere Kostenlose Bücher