Mister Peanut
die Aussage sofort als falsch identifizierte. Man sagte diese Phrase so dahin. In Wahrheit war Marilyn definitiv wiederzuerkennen gewesen, und je mehr Zeit verging, desto genauer konnte er sich an den Farbton ihres Haares erinnern, das an ihrem blutigen Kopf klebte und an einigen Stellen strähnig verkrustet war, so als klebten ihre Haare schweißnass an ihrer Wange. Selbst ihr Gesichtsausdruck war absolut wiedererkennbar, dieselbe bekümmerte, besorgte Miene, die sie immer aufsetzte, wenn sie schlief, ein von Träumen verzerrter Gesichtsausdruck, der in ihm den Wunsch weckte, sie nachts an sich zu ziehen und sich von diesen Träumen erzählen zu lassen.
»Und dann?«
»Ich war fertig. Ich wusste nicht, was los war. Trotzdem habe ich mich aufs Bett gekniet, um nach ihrem Puls zu fühlen. Sie war tot.«
»Und?«
»Ich bin zu Chips Zimmer gegangen, um nach ihm zu sehen. Er schlief.«
»Aber Sie haben ausgesagt, sie hätte geschrien. Sie wurde brutal erschlagen.«
»Chip war wie ich. Er ließ sich von kaum etwas wecken.«
»Warum haben Sie nicht die Polizei gerufen?«
»Ich hörte ein Geräusch im Erdgeschoss, deswegen bin ich nach unten gelaufen. Der Mann hielt sich immer noch in unserem Haus auf, ich konnte ihn hinter der Verandatür sehen.«
»Sie konnten ihn sehen?«
»Ich konnte seinen Umriss sehen.«
»Wie sah er aus?«
»Wie der Umriss eines Mannes.«
»Wie sah er aus?«
»Er war kräftig, so wie ich. Sein Haar war so buschig, dass es ihm vom Kopf abstand.«
»Und dann?«
»Hat er mich gehört und ist geflüchtet. Ich habe ihn verfolgt, bis nach draußen und über die Treppe ans Ufer. Schließlich konnte ich ihn einholen und zu Boden reißen. Wir haben gekämpft. Ich war immer noch erschöpft, und es war dunkel. Ich konnte keinen guten Schlag landen. Es war, als hätte ich versucht, jemanden in einer Telefonzelle zu verprügeln. Er schlug mich ein weiteres Mal bewusstlos.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil ich auf dem Strand wieder aufgewacht bin. Mein Hemd fehlte. Meine Beine lagen im Wasser.«
»Wie lange waren Sie bewusstlos?«
»Das weiß ich nicht. Es dämmerte bereits.«
»Sie setzten sich auf und begriffen, was passiert war.«
»Ja.«
»Sie erinnerten sich an die tote Marilyn.«
»Ich wusste, dass ich sie verloren hatte.«
»Verraten Sie mir eines, Dr. Sam: Was genau ging Ihnen in jenem Augenblick durch den Kopf?«
Dick Eberling saß in seinem Lieferwagen im Huntington Park und beobachtete das Haus der Sheppards.
Er überlegte sich, dass es das Klügste wäre, eine dieser Kameras mit superlangem Teleobjektiv zu kaufen, um Marilyn nach Herzenslust beobachten zu können, ohne dass sie es merkte. Außerdem würde er sie dann fotografieren können, wenn sie am Fenster saß oder auf der Veranda oder am Strand; später könnte er die Bilder entwickeln lassen, um ihr zu zeigen, wie hübsch sie war; denn wenn man sich mit Marilyn Sheppard unterhielt, spürte man gleich, dass sie sich für so hübsch nicht hielt, was sie dann nur noch hübscher machte. Er könnte ihr die Bilder zeigen und sagen: Sehen Sie, das sind Sie da draußen in der Welt, wenn niemand zusieht außer mir. So sehe ich Sie, und das ist es, was ich mag: Ich mag Ihr volles, lockiges Haar und Ihre braunen Augen. Ich mag, dass Sie immer ein wenig traurig aussehen. Ich mag Ihre dünnen Beine und Ihre kleinen Brüste, und ganz besonders mag ich Ihr Lachen. Ein schmutziges Lachen. Das Lachen eines Mädchens mit Geheimnissen.
Ich will Ihnen mein Geheimnis verraten.
Vor drei Tagen hatte Marilyn ihm gesagt, er sehe aus wie Dr. Sam. Er betrachtete sein Gesicht im Rückspiegel und verstand, wie sie darauf kam. Sie hatten die gleichen buschigen Augenbrauen und vollen Lippen, selbst ihre Ohren waren von ähnlicher Form; doch obwohl sie beide schütteres Haar hatten, zeichnete Dr. Sams spitz zulaufender Haaransatz sich noch deutlicher ab, außerdem bewegte er sich, als könnte er jeden Augenblick zum Sprint ansetzen – schneller, als Dick selbst je sein würde. Auch sah er aus wie ein Mann, der niemals in den Spiegel sah, weil ihm alles, was er über sich wissen musste, längst bekannt war. Am Mittwoch hatte Eberling ihn das Haus verlassen sehen, er war in dem Moment mit seinem Lieferwagen auf das Grundstück gefahren, als Sheppard seiner Frau von draußen vor der Küchentür aus etwas sagte. Eberling holte Putzmittel und Gerätschaften von der Ladefläche, lief um den Wagen herum und genau auf den Doktor zu, der auf dem
Weitere Kostenlose Bücher