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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Möglicherweise fehlte es dieser Zukunft ein wenig an Seele und Herz, dachte er, machte sich aber im selben Augenblick klar, dass er schon wieder in Klischees dachte. Wie stand es denn um sein eigenes Herz und seine eigene Seele? Er fühlte sich alt. Der, den er da vor sich sah, war schlicht und einfach ein besserer Polizist als er selbst. Mit schwarzen Haaren und einem spanischen Namen.
    Befrag dein Herz, Hjelm.
    Grundström daraus zu entfernen war Teil seines Auftrags.
    Er ging auf den Flur und weiter zur Toilette. Auf seiner Wange blühte ein Pickel. Er drückte daran herum, aber das brachte nichts, außer dass die Haut um den Pickel herum abschuppte. Er befeuchtete den Finger und wischte die Hautschüppchen weg. Danach trat er wieder auf den Flur, ging an seinem Büro vorbei und blieb vor der 303 stehen. Klopfte kurz an und ging hinein.
    Gunnar Nyberg saß am Computer und schrieb etwas, ein Mammut im Kampf gegen ein Raumschiff. Der Hüne sah aus, als wäre er auf dem falschen Planeten gelandet.
    Kerstin Holm hatte Kopfhörer auf und schrieb an einem kleinen Laptop. Sie schaltete den Walkman aus, der neben dem Laptop lag, und sah Hjelm an. Nyberg ließ sich nicht unterbrechen, er tippte weiter, langsam, zäh, widerwillig – aber hartnäckig. Hjelm hatte das Gefühl, gerade eine seiner grundlegenden Charaktereigenschaften vorgeführt zu bekommen.
    »Besuch«, sagte Kerstin Holm. »Was für eine Abwechslung.«
    »Was ist denn das?« fragte Hjelm und zeigte auf den Laptop.
    »Hast du etwa keinen bekommen?« fragte sie überrascht und sah, wie sein Blick sich verfinsterte. Dann lächelte sie ihn mit sanfter Ironie an. Ihm war bis dahin nie aufgefallen, wie hübsch sie war.
    »Das ist mein eigener«, sagte sie. »Der ist schneller.«
    Noch weitere drei Sekunden dachte er, dass sie hübsch war: ihr legeres, schwarzes Outfit, das strubbelige braune Haar, die wachen, noch brauneren Augen, die charmanten ersten Falten, das ewig ironische Lächeln, ihr waschechter Göteborger Akzent. Dann schüttelte er den Gedanken ab.
    »Ich würde mir gern mal deine Bänder anhören.«
    »Denkst du an was Bestimmtes?«
    »Nicht direkt. Ich dachte, ich lerne die Person ein bisschen besser kennen und vermeide so Klischees – wenn möglich.«
    »Wer weiß«, Kerstin Holm zeigte auf einen hohen Turm aus Kassetten, »vielleicht treffen viele der Klischees ja zu.«
    »Was glaubst du?«
    »Lass uns hinterher darüber reden«, sagte sie und schob den wackeligen Turm seitwärts über den Schreibtisch.
    Die Bänder waren nicht beschriftet. Hjelm griff willkürlich eins heraus und legte es in seinen Walkman ein, den er sich gerade erst zugelegt hatte. Er hörte Kerstin Holms Stimme.
    »3. April. Telefongespräch mit Willy Eriksson, getauft auf den Namen William Carlberger, geboren am 14. August 1963. Sie sind also der Sohn von Nils-Emil und Carlotta Carlberger?«
    »Ja. Sie heißt inzwischen aber Eriksson, Carla Eriksson. Das ist ihr Mädchenname.«
    »Und den haben Sie auch angenommen? Und den Vornamen haben Sie ebenfalls geändert?«
    »Ja.«
    »Ihr Bruder heißt nach wie vor Carlberger, Andreas Carlberger. Hat das einen Grund?«
    »Tja, ich weiß nicht. Ich stehe meiner Mutter eben näher.«
    »Sie sind Doktorand der Soziologie in Lund. Sind Sie Marxist?«
    Willy Eriksson lachte kollernd. »Wenn dem so wäre, wäre die Frage überflüssig.«
    »Bestand ein ideologischer Konflikt zwischen Ihnen und Ihrem Vater?«
    »Man könnte ihn ideologisch nennen, obwohl ich finde, dass man mit dem Ideologiebegriff vorsichtig umgehen sollte. Worauf Sie hinauswollen – kürzen wir den Weg doch einfach ab –, ist ja wohl die Frage, ob ich den liebenswerten Nils-Emil gehasst habe. Die Antwortet lautet: Nein. Kein Hass.«
    »Kein Hass, keine Trauer?«
    »Genau.«
    »Erzählen Sie von ihm. Wie war er? War er der klassische Kapitalist? Rein soziologisch gesehen?«
    »Eleganter Schwenk auf meinen Bereich. Touche. Bring ihn zum Sprechen.«
    »Lassen Sie das. Wenn Sie den Weg wirklich abkürzen wollen, dann helfen Sie mir. Das Geplänkel verschlingt nur unnötig Zeit.«
    »Wenn es so etwas wie einen klassischen Kapitalisten, rein soziologisch gesehen, gibt, dann war er so einer, ja. Ich hatte eine materialistische und strenge Kindheit mit sporadischen Besuchen der autoritären Vaterfigur. Nichts Neues unter der Sonne. Keine Umarmungen, aber auch keine offenkundige Gewalt. Es drehte sich alles ums Geld und um dessen Abglanz, unter den Andreas und ich und unsere

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