Misterioso
elegante Dreizimmerwohnung bat. Die Sonne wärmte noch, und Göteborg lag unter einer seiner lästigen Abgasglocken. Es war drückend, und der korpulente Herr Hasseigren öffnete ihnen im klassischen Breitripp-Unterhemd. Aus den groben Maschen staken graue Härchen. Im Hintergrund spielte Thelonious Monk.
»52 nd Street-theme«, bemerkte Kerstin Holm und eroberte damit das Herz des ehemaligen Musiklehrers.
Ja, er hatte von White Jim eine Monk-Aufnahme gekauft, auf der auch Risky war. Er hatte damals außergewöhnliche Aufnahmen aus den Jahren 1957 bis ‘59 gesucht und deswegen in einer Fachzeitschrift inseriert, die Mitte der Achtziger mit ein paar Nummern herausgekommen war. Und White Jim hatte sich auf seine Anzeige hin gemeldet. Ja, das Band war noch in seinem Besitz. Doch, er hatte es ein paar Mal im Unterricht vorgespielt. Nein, den Schülern hatte es nicht gefallen. Doch, ja, er hatte hartnäckig daran festgehalten, in seinem Unterricht Jazz aus den späten Fünfzigern vorzuspielen. Ja, der Bebop aus der Zeit von 1957 bis ‘59 war die herausragendste künstlerische Neuerung des zwanzigsten Jahrhunderts. Die dürfe man den Schülern nicht vorenthalten. Nein, er hatte das Band nicht vervielfältigt und würde auch nie auf den Gedanken kommen, so etwas zu tun.
Sie bedankten sich höflich und gingen. Als sie sich am Ende der Kastellangatan noch einmal umdrehten und zu seinem Fenster hochschauten, sahen sie, dass der dicke Mann in seinem Rippenhemd ihnen neugierig hinterher blickte.
Der nächste Name entpuppte sich als Kneipe, die es nicht mehr gab. Arnold Schwarzeneggers leerer Blick starrte ihnen aus dem Schaufenster einer Videothek entgegen, an deren Stelle eigentlich das Cafe Ricardo hätte sein sollen.
»Wie gut kennst du dich in deinem Heimatort aus?«
»Falscher Stadtteil«, sagte Holm.
Sie rief in ihrem alten Polizeirevier in der Färgaregatan an. Ziemlich lange stand sie in der Telefonzelle. Kein Wort von dem, was sie sagte, drang nach draußen. Hjelm spielte abwesend mit dem Handy in seiner Jackentasche. Er sah, wie ihr Gesicht sich aufhellte, wie sie laut – für ihn lautlos – lachte, bedauernd die Mundwinkel runterzog und überhaupt Mienen und Gesten einsetzte, die er noch nie an ihr gesehen hatte. Eine höchst attraktive Pantomime, dachte er und spürte, dass er auch im übertragenden Sinne auf der anderen Seite der Glasscheibe stand.
»Dieser Guido aus dem geschlossenen Cafe Ricardo, den White Jim uns ohne Nachnamen genannt hat«, sagte sie emotionslos, als sie aus der Telefonzelle kam – er hatte das Gefühl, dass die Emotionslosigkeit ihm persönlich galt –, »heißt mit vollständigem Namen Guido Cassola. Er hat ein neues Lokal eröffnet, mit etwas gehobenerer Klientel und zentraler gelegen. Oben in der Kyrkogatan. II Barone.«
»Ist das weit von hier?«
»Warst du noch nie in Göteborg?«
»Noch nie.«
»Wir sind jetzt in Majorna. Die Kyrkogatan liegt innerhalb des Wallgrabens. In der City, um es auf stockholmerisch zu sagen. Doch, es ist schon eine Ecke.«
»Zu weit zum Laufen?«
»Nein. Und unterwegs erzähl ich dir ein bisschen was über die Stadt.«
Die Dämmerung brach herein. Trotz des Berufsverkehrs und der grenzüberschreitenden Abgaswerte, derentwegen immer mal wieder die Kindergärten geschlossen blieben, war es ein schöner Spaziergang. Im Laufe einer knappen Stunde erweiterte sich Hjelms Tunnelblick, ohne dass es allzu weh tat. Dass das Kerstin Holms Verdienst war, stand außer Frage. Sie war in ihrem Element, ein hervorragender Führer durch ihre geliebte Stadt. Göteborg gewann zusehends, erschien Hjelm als die gemütlichere Stadt, auch wenn Stockholm eindeutig schöner war. Die Reserviertheit zwischen ihnen löste sich auf, während Kerstin erzählte und Paul Fragen stellte, zur Masthuggskirche, zu Haga und zum Järntorget, zur Feskekörka und dem eigenartigen Gebäudekomplex auf der anderen Seite des Wallgrabens. Sie schlenderten durch den Kungspark, überquerten den Wallgraben auf einer kleinen Brücke, die auf den Kungstorget führte, und waren plötzlich am Ziel. Während des gesamten Spaziergangs hatten sie kein einziges persönliches Wort gewechselt, und trotzdem hatte etwas sehr Persönliches zwischen ihnen stattgefunden.
Sie betraten das II Barone. Obwohl es erst kurz nach sechs war, war das Lokal voll. In dem italienischen Restaurant war ein Hauch englischer Pub-Stimmung zu spüren. Sie fragten eine Kellnerin, ob Guido Cassola zu sprechen sei, und
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