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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Innereien der Taube hingen Blanche rechts und links aus dem Maul.
    Gelobt sei der Herr, ertönte es aus einem Baum.
    Olive rief den Hund, machte die Leine am Halsband fest und trat den Heimweg an. Kurz bevor sie das Haus erreichte, warf sie einen Blick zurück und sah hinter sich den jungen Mann, der eben die Straße überquerte, Blanche an der Leine und auf der Schulter einen Papagei. Sie stutzte. War das der Mieter ? Dieser Kerl mit der angeberischen Lederjacke, dem - wie Olive fand - aggressiven Benehmen? Sie schloss das Tor
auf, und ihr war zumute, als hätte sie bereits jetzt, um acht Uhr morgens, eine kleine Schlacht hinter sich. Nein, niemand konnte ihr weismachen, dass ihr Sohn hierhergehörte. Er war kein Kämpfer.
     
    Die Küche war leer. Im Obergeschoss hörte sie eine Dusche rauschen. Sie ließ sich auf einen Holzstuhl fallen. Früher hatte sie alle sechs Namen parat gehabt. Jetzt wusste sie nur noch den seiner Frau, Rose, und den einer Tochter - Andrea? Wenn, dann war Sean einer von den Kleinen gewesen. Aber wie viele tausend Sean O’Caseys liefen in der Weltgeschichte herum? Und war es überhaupt von Belang? Sie saß in der düsteren Küche und erinnerte sich - so vage, als ginge es um eine entfernte Verwandte - an jene Person, Olive Kitteridge, die einmal geglaubt hatte, wenn sie Henry um Jims willen verließe, dann gäbe es nichts, was sie nicht für Jims Kinder zu tun bereit war, so unermesslich groß war ihre Liebe ihr erschienen.
    »Christopher«, sagte sie. Er war zur Tür hereingekommen, mit nassem Haar, fertig für die Praxis. »Ich glaube, ich hab deinen Mieter im Park getroffen. Mir war nicht klar, dass er zu dem frommen Papagei auch noch einen Hund hat.«
    Christopher, der an der Spüle stehen geblieben war, nickte, eine Kaffeetasse am Mund.
    »Er hat mir nicht besonders gefallen.«
    Christopher zog eine Braue hoch. »Sag bloß.«
    »Ich fand, dass er ziemlich unfreundlich war. Ich dachte immer, Christen sollten freundlich sein.«
    Ihr Sohn stellte seine Tasse ins Spülbecken. »Wenn ich ein bisschen fitter wäre, würde ich lachen. Aber Annabelle hat uns heute Nacht wieder auf Trab gehalten, und ich bin müde.«
    »Christopher, was ist eigentlich mit Anns Mutter?«

    Er wischte mit einem Geschirrtuch über die Arbeitsplatte, einmal nur. »Die ist Alkoholikerin.«
    »Ach du meine Güte.«
    »Mmh, nicht viel anzufangen mit ihr. Und ihr Vater, der inzwischen tot ist - halleluja, um mit dem Papagei zu sprechen -, war in der Army. Er hat sie gezwungen, jeden Morgen Liegestütze zu machen.«
    »Liegestütze. Na, da habt ihr zwei ja einiges gemeinsam.«
    »Wie meinst du das?« Er schien leicht zu erröten.
    »Das sollte sarkastisch sein. Stell dir vor, dein Vater hätte Liegestütze von dir verlangt.«
    Dass er nichts erwiderte, brachte sie eine Spur aus der Fassung. »Dein Mieter wollte wissen, wie du dir dieses Haus leisten kannst«, sagte sie.
    So brummig erschien er ihr gleich vertrauter. »Das geht ihn einen Dreck an.«
    »Ja, genau das fand ich auch.«
    Christopher sah auf seine Uhr, und Olive überkam Furcht vor seinem Aufbruch, Furcht vor dem langen Tag allein mit Ann und den Kindern in diesem düsteren Haus. »Wie lange brauchst du bis in die Arbeit?«, fragte sie.
    »Halbe Stunde. Die U-Bahn ist proppenvoll um diese Zeit.« Olive war noch nie U-Bahn gefahren. »Chris, hast du nicht Angst, dass wieder etwas passiert?«
    »Dass etwas passiert? Du meinst, ein Anschlag?«
    Olive nickte.
    »Nein. So ein bisschen. Nicht richtig. Ich meine, entweder es kommt, oder es kommt nicht, wir können schließlich nicht die ganze Zeit rumsitzen und warten.«
    »Ja, das verstehe ich.«
    Chris fuhr sich mit den Fingern durchs nasse Haar, schüttelte kurz den Kopf. »Hier an der Ecke war ein Laden, der von ein paar Pakistanern betrieben wurde. Es gab fast nichts
zu kaufen da. Ein paar Kekse, eine Flasche Cola. Ganz eindeutig nur eine Art Tarnung. Aber ich hab jeden Morgen meine Zeitung dort gekauft, und der Mann war immer ganz reizend. ›Wie gehen heute?‹, hat er jedes Mal gefragt und seine langen gelben Zähne gebleckt. Er hat mich angelächelt, und ich hab zurückgelächelt, und zwischen uns war klar, er hat nichts gegen mich, aber wenn er wüsste, welche U-Bahn in die Luft fliegt, dann würde er mir mit demselben Lächeln beim Einsteigen zusehen.« Chris zuckte die Achseln.
    »Woher weißt du das?«
    »Gar nicht. Nur so ein Gefühl. Der Laden hat dichtgemacht, der Mann sagte, er muss zurück nach

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