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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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nicht alle, Suzanne‹, und sie: ›Ob du’s glaubst oder nicht, Olive, sehr viele sterben auch.‹«
    »Die Beisetzung ist privat«, sagte Daisy zu Harmon. »Im engsten Familienkreis.«
    Er nickte.
    »Sie hat Abführmittel genommen«, sagte Daisy, während sie eine Tasse Tee vor ihn hinstellte, und wischte sich mit einem Taschentuch die Nase. »Ihre Mutter hat sie in einer Schublade bei ihr im Zimmer gefunden, und es passt auch, schließlich hat sie zum Schluss ja nicht mal mehr die paar Gramm zugelegt, die sie zwischendrin zugenommen hatte.
Also kam sie am Donnerstag in die Klinik …« Hier musste Daisy sich setzen und das Gesicht in den Händen vergraben.
    »Es muss eine furchtbare Szene gewesen sein«, berichtete Olive. »So, wie die Mutter es beschrieben hat. Nina hat sich natürlich geweigert zu gehen. Sie mussten sie holen lassen, so richtig von Amts wegen, und sie muss sich gewehrt haben wie ein wildes Tier.«
    »Das arme kleine Ding«, sagte Daisy.
    »Den Herzinfarkt hatte sie dann gestern Nacht«, sagte Olive zu Harmon. Sie schüttelte den Kopf, schlug mit der Hand leicht auf den Tisch. »Verflixt und zugenäht«, sagte sie.
    Es war schon längst dunkel, als er ging.
    »Warum kommst du jetzt erst?«, wollte Bonnie wissen. »Dein Essen ist kalt.«
    Er antwortete nicht, setzte sich nur hin. »Ich hab keinen richtigen Hunger, Bonnie«, sagte er. »Entschuldige.«
    »Sag mir lieber, was du die ganze Zeit gemacht hast.«
    »Ich bin einfach rumgefahren«, sagte er. »Ich sag ja, ich bin irgendwie trübsinnig in letzter Zeit.«
    Bonnie setzte sich ihm gegenüber. »Ich fühle mich ganz elend, wenn du so trübsinnig bist. Und ich habe keine Lust, mich elend zu fühlen.«
    »Ich kann’s dir nicht verdenken«, sagte er. »Es tut mir leid.«
     
    Ein paar Tage später rief ihn Kevin im Laden an. »Stör ich grade, Dad? Hast du einen Moment Zeit?«
    »Was gibt’s?«
    »Ich wollte bloß fragen, ob es dir gut geht. Ob alles in Ordnung ist.«
    Harmon beobachtete Bessie Davis, die vor den Glühbirnen stand. »Sicher. Warum?«

    »Du kommst mir so ein bisschen bedrückt vor seit neuestem. Gar nicht wie du selbst.«
    »Nein, nein. Ich bin munter wie ein Fisch im Wasser.« Ein geflügeltes Wort zwischen ihnen, seit Kevin mit fast zwölf endlich schwimmen gelernt hatte.
    »Martha hat Angst, dass du vielleicht wütend bist wegen Weihnachten und der Karottensuppe.«
    »Ach, du liebes bisschen, nein.« Bessie drehte sich um und ging zu den Besen. »Sagt das deine Mutter?«
    »Niemand hat irgendwas gesagt. Ich hab mich nur gefragt.«
    »Hat sich deine Mutter bei dir über mich beschwert?«
    »Nein, Dad, ich sag doch. Ich hab mich gefragt, das ist alles.«
    »Keine Sorge«, sagte Harmon. »Ich bin putzmunter. Und selbst?«
    »Wie ein Fisch im Wasser. Na gut. Dann halt mal die Ohren steif.«
    Bessie Davis, die alt und alleinstehend war, hatte viel zu erzählen, während sie eine neue Kehrschaufel kaufte. Sie sprach von ihren Hüftproblemen, ihrer Schleimbeutelentzündung. Sie sprach von der Schilddrüsendysfunktion ihrer Schwester. »Ich hasse diese Jahreszeit«, sagte sie mit einem Kopfschütteln. Eine jähe Furcht packte Harmon, als sie ging. Irgendein Schutzfilm zwischen ihm und der Welt schien gerissen zu sein, und alles war nah und beängstigend. Bessie Davis hatte schon immer viel geredet, aber jetzt sah er ihre Einsamkeit wie eine Schwäre auf ihrem Gesicht. Nicht ich, schoss es ihm durch den Kopf, nicht ich . Und wieder stand ihm die liebliche Nina White vor Augen, wie sie vor dem Clubhaus auf Tim Burnhams Schoß gesessen hatte, und er dachte: Nicht du, nicht du, nicht du.
    Am Sonntagvormittag hingen tiefe Wolken am Himmel,
und unter den kleinen Lampenschirmen in Daisys Wohnzimmer leuchteten die Glühbirnen. »Daisy, ich will das einfach nur loswerden. Du brauchst nicht zu antworten, du brauchst dich auch in keiner Weise verantwortlich zu fühlen. Du hast nicht das Geringste dazugetan. Außer, dass du einfach du bist.« Er wartete, sah durch das Zimmer, sah in ihre blauen Augen und sagte: »Ich hab mich in dich verliebt.«
    Er war sich so sicher, was als Nächstes kommen würde, ihr Zartgefühl, ihre behutsame Abfuhr, dass er es kaum glauben konnte, als ihre weichen Arme ihn umschlangen, als er die Tränen in ihren Augen sah, ihren Mund auf seinem spürte.
     
    Die Miete bezahlte er Les Washburn von ihrem Sparkonto. Wie schnell Bonnie es merken würde, wusste er nicht. Aber ein paar Monate hatte er noch, glaubte er.

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