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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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hasste Jane sie, diese große Frau mit ihrem geschminkten Gesicht, den harten Augen, die unter dem roten Filzhut hervorstarrten. Nie im Leben würde sie Mrs. Lydia erzählen, wie sie und Bobby morgens als Erstes einen Spaziergang machten, wie sie danach zurückkamen und Kaffee kochten und ihre Kleieflocken aßen und einander aus der Zeitung vorlasen. Wie sie ihren Tag planten, zusammen einkaufen gingen - Janes Mantel, spezialangefertigte Schuhe für ihn, weil ihm seine Füße in letzter Zeit so zu schaffen machten.
    »Wir haben noch wen getroffen auf dieser Reise«, sagte Mr. Lydia. »Die Shepherds. Sie waren in einem Golfhotel ein Stück weiter nördlich.«
    »Die Welt ist klein«, wiederholte Mrs. Lydia und zupfte sich wieder mit der behandschuhten Hand am Ohrläppchen, ohne Jane anzuschauen diesmal, nur mit einem Blick zur Empore.

    Olive Kitteridge schob sich durch die Menschenmenge. Sie überragte die meisten, ihr Kopf war deshalb gut sichtbar, als sie eine Bemerkung zu ihrem Mann machte. Henry nickte, einen Ausdruck unterdrückter Heiterkeit auf dem Gesicht.
    »Wollen wir mal?«, fragte Bob mit einer Kopfbewegung in Richtung Eingang und berührte Jane am Ellbogen.
    »Komm.« Mrs. Lydia tippte mit dem Programm gegen den Ärmel ihres Mannes. »Gehen wir. Nett, Sie mal wiedergesehen zu haben.« Sie winkte Jane mit den Fingern, dann stieg sie die Treppe hinauf.
    Jane zwängte sich an einer Gruppe von Leuten vorbei, die mitten in der Tür standen, und sie und Bob gingen zurück zu ihrer Bank, wo sie den Mantel um sich feststeckte und die Beine übereinanderschlug, die sich kalt anfühlten in dem schwarzen Wollstoff der Hose. »Er liebt sie«, sagte Jane mit Nachdruck. »Deshalb hält er es mit ihr aus.«
    »Mr. Lydia?«
    »Nein. Henry Kitteridge.«
    Bob antwortete nicht, und sie schauten den Leuten zu, die nach ihnen hereinkamen und ihre Plätze wieder einnahmen, darunter die Kitteridges. »Miami?«, sagte Jane zu ihrem Mann. »Wovon hat er da geredet?«
    Bob schob die Unterlippe vor und zuckte die Achseln, als wüsste er es auch nicht.
    »Wann warst du denn in Miami ?«
    »Er muss Orlando meinen. Damals, als ich das Konto da unten aufgelöst habe, weißt du noch?«
    »Du hast am Flughafen in Florida die Lydias getroffen? Das hast du mir nie erzählt.«
    »Bestimmt hab ich das. Es ist eine Ewigkeit her.«
    Die Musik füllte die Kirche. Sie füllte allen Raum aus, der nicht von Menschen oder Mänteln oder Bänken belegt war, sie füllte allen Raum in Jane Houltons Kopf aus. Jane schob
sogar mehrere Male den Hals vor und zurück, als könnte sie dadurch das bedrängende Gewicht der Klänge abschütteln. Eigentlich hatte sie Musik nie gemocht, gestand sie sich jetzt ein; Musik brachte einem alle vergangenen Dunkelheiten und Kümmernisse zurück. Sollten andere darin schwelgen, diese Leute, die so andächtig lauschten mit ihren Pelzmänteln, ihren roten Filzhütchen, ihrem öden Leben - ein Druck auf ihrem Knie, die Hand ihres Mannes.
    Da lag sie, seine Hand, vor dem Schwarz des Mantels, den sie zusammen gekauft hatten. Eine Altmännerhand, groß und schön mit den langen Fingern und den Adern, die sich über den Handrücken zogen, beinahe so vertraut wie ihre eigene.
    »Alles in Ordnung mit dir?« Er hatte sich zu ihr gebeugt, aber selbst sein Flüstern schien ihr noch zu laut. Sie beschrieb mit zwei Fingern einen Kreis, ihre private Zeichensprache von früher, Gehen wir, und er nickte.
    »Alles in Ordnung, Janie?«, fragte er auf dem Bürgersteig noch einmal, die Hand um ihren Ellbogen gelegt.
    »Ach, irgendwie strengt diese schwere Musik mich an. Macht es dir etwas aus?«
    »Nein. Mir hat’s auch gereicht.«
    Im Auto, in der Dunkelheit und Stille des Autos, spürte sie, wie sich etwas zwischen ihnen breitmachte. Aber auch in der Kirche war es ja schon dagewesen, dieses Etwas, wie ein Kind, das sich in der Bank zwischen sie quetschte: dieses Wissen, diese Gegenwart, die in ihren Abend eingedrungen war.
    »O Gott«, sagte sie leise.
    »Was denn, Janie?«
    Sie schüttelte den Kopf, und er fragte nicht noch einmal.
    Eine Ampel vor ihnen schaltete auf Gelb. Er ging vom Gas, bremste, hielt an.
    »Ich hasse sie«, brach es aus Jane heraus.

    »Wen?« Er klang überrascht. »Olive Kitteridge?«
    »Natürlich nicht Olive Kitteridge. Warum sollte ich Olive Kitteridge hassen? Donna Granger. Ich hasse sie. Sie ist mir unheimlich. So selbstgefällig. Unsere Kükenschar . Ich hasse sie.« Und Jane stampfte tatsächlich mit dem

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