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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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hat sie sie auch von daheim mitgebracht. So oder so fühlt sie sich sichtlich zu Hause. »Also, dann erzähl doch mal, Olive. Das wollte ich dich schon lange fragen. Was macht Christopher so?«
    Molly verteilt die Teller so flink wie Spielkarten.
    »Christopher geht’s gut«, sagt Olive. »Und, was soll ich als Nächstes machen?«

    »Richte diese Brownies auf dem Teller da an. Und gefällt es ihm in Kalifornien?«
    »Er fühlt sich sehr wohl da. Die Praxis läuft gut.« Winzige Mini-Brownies. Was ist so schlimm daran, Brownies so aufzuschneiden, dass man was zwischen den Zähnen hat?
    »Wie können die Kalifornier Fußprobleme haben?«, will Molly wissen und schiebt sich mit einer Platte belegter Brötchen an Olive vorbei. »Ich denke, die fahren immer nur Auto?«
    Olive muss das Gesicht zur Wand drehen und mit den Augen rollen über so viel Dämlichkeit. »Aber Füße haben sie trotzdem. Und Christopher hat eine sehr schöne Praxis.«
    »Sind denn schon Enkelkinder unterwegs?« Molly dehnt das Wort neckisch, während sie Zuckerwürfel in eine kleine Schale füllt.
    »Nicht dass ich wüsste«, sagt Olive. »Und von Nachfragen halte ich nichts.« Sie nimmt einen von den Mini-Brownies, steckt ihn sich in den Mund und starrt Molly herausfordernd an. Außer ihren Freunden Bill und Bunny Newton, die zwei Stunden entfernt wohnen, haben Olive und Henry niemandem erzählt, dass Christopher geschieden ist. Warum sollten sie? Es geht keinen etwas an, und jetzt, wo Christopher so weit weg ist - wer braucht zu wissen, dass seine Frau ihn verlassen hat, kaum dass er mit ihr ans andere Ende des Kontinents gezogen war? Und dass er nicht plant, zurück nach Hause zu kommen? Kein Wunder, dass Henry den Schlaganfall hatte! Es ist alles so unfasslich! Niemals, in hundert Jahren nicht, würde Olive vor Molly Collins oder sonst irgendwem zugeben, wie schrecklich es war, als Christopher seinen Vater im Pflegeheim besucht hat - wie kurzangebunden er mit ihr war, wie eilig er es hatte, wieder abzureisen, dieser Mann, der ihr heißgeliebter Sohn ist. Dass man seinen Ehemann überlebt, damit muss man rechnen, selbst in Marlene
Bonneys Alter. Und auch damit, dass der Mann alt wird, dass er einen Schlaganfall bekommt und zusammengesunken in seinem Rollstuhl im Pflegeheim sitzt. Aber damit, einen Sohn großzuziehen, dem man ein wunderschönes Haus ganz in der Nähe baut und ihm hilft, sich als Podologe zu etablieren, nur um dann erleben zu müssen, dass er heiratet und weit weg zieht und nie wieder heimkommt, nicht einmal, nachdem dieses Miststück von einer Ehefrau ihn sitzenlassen hat - keine Frau, keine Mutter kann mit so etwas rechnen. Dass ihr der Sohn einfach weggestohlen wird.
    »Lass noch was für die anderen übrig, Olive«, sagt Molly Collins, und dann: »Na, wenigstens hat Marlene ihre Kinder. Und so wohlgeratene Kinder noch dazu.«
    Olive steckt sich noch einen Brownie in den Mund - aber da sind sie schon, die Kinder von Marlene. Zusammen mit ihrer Mutter kommen sie zur Hintertür herein und gehen durch die Küche, während draußen Autoreifen auf dem Kies der Einfahrt knirschen und Autotüren zugeschlagen werden. Und jetzt steht Marlene Bonney selbst in der Diele, hält ihr Täschchen leicht erhoben und ein Stück vom Körper weg, als gehörte es ihr gar nicht - steht da, bis jemand sie ins Wohnzimmer führt, wo sie artig auf ihrer eigenen Couch Platz nimmt.
    »Wir haben gerade gesagt«, wendet sich Molly Collins an sie, »du und Ed, ihr habt die besten drei Kinder der ganzen Stadt großgezogen, ganz ehrlich, Marlene.« Und in der Tat kann sie stolz sein auf sie: auf Eddie junior, der bei der Küstenwache ist, ein genauso heller Kopf wie sein Vater (wenn auch nicht so kontaktfreudig, in seinen dunklen Augen liegt etwas Verschlossenes), auf Lee Ann, die zur Krankenschwester ausgebildet wird, und auf Cheryl, die gerade ihren High-School-Abschluss macht; niemand hat je gehört, dass es mit ihnen Probleme gab.

    Aber Marlene sagt: »Ach, es gibt viele liebe Kinder«, und nimmt den Kaffee, den Molly ihr hinstreckt. Marlenes braune Augen blicken ein bisschen unscharf, ihre Wangen hängen ein bisschen mehr als sonst. Olive setzt sich auf einen Stuhl ihr gegenüber.
    »Auf dem Friedhof, das ist immer schlimm«, sagt Olive, und Marlene lächelt, ihre Grübchen plinkern ganz oben auf ihren Wangen, als hätten sich kleine Sterne dort abgedrückt.
    »Ach, hallo, Olive«, sagt sie. Es hat Jahre gedauert, bis Marlene es sich abgewöhnt hatte,

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