Mit Blindheit Geschlagen
Röntgenstrahlen durchleuchten. Wenn Sie oft auf der Transitstrecke gefahren sind und Krebs kriegen, können Sie sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bei den Genossen bedanken. Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, das haben die doch immer posaunt. Wahrscheinlich deswegen die Reihenröntgenuntersuchung an der Grenze, reine Fürsorge. Leider haben die vergessen, ihren Patienten die Diagnosen mitzuteilen.« Es klang bitter.
»Welcher Grenzübergang?«
»Helmstedt.«
»Und Schlösser ist in Ostberlin eingereist und dann nach Dresden gefahren?«
»Ich glaube, der kriegte ein Visum für Dresden, war ja nicht so schwierig, Verwandtenbesuch. Stimmt, deswegen hat Willy das übernommen, der hatte ne Tante in Dresden. Dann war das mit dem Dialekt doch kein Problem. Und er ist in Ostberlin eingereist, weil er in Westberlin wohnte.«
»Aha«, sagte Stachelmann, um etwas zu sagen.
»Der Nächste, den sie erwischt haben, war ein Typ mit dem komischen Namen Pintus, ich glaube, Herbert oder Hermann. Oder hieß der Manfred? Zacki, also Werner Zakowski, ist nach Bukarest, mit einem präparierten Pass, aber die Securitate, das war die rumänische Stasi, hatte den Pintus schon geschnappt, und Zacki hatte Glück, dass es ihn nicht erwischte. Ein Hotel-Heini hat ihm einen Wink gegeben.«
»Wissen Sie, wo Pintus heute lebt?«
»Keine Ahnung, ich weiß nicht mal, ob der noch lebt.«
»Was war er von Beruf?«
»Abteilungsleiter in einem Kombinat, warten Sie mal, ich glaube, bei Robotron, aber nicht in Dresden, in irgendeiner Filiale im Bezirk Erfurt, also in Thüringen. Genau, jetzt weiß ich es wieder, in Sömmerda. Pintus soll ein Ass gewesen sein, irgendwas mit Elektronik. Na ja, Robotron eben. Der hat auch mitgemacht bei dieser Chipgeschichte, auf die die Erichs so stolz waren, der eine, weil er den angeblich in der DDR entwickelten 32-Bit-Prozessor vorzeigen konnte, der andere, weil es ihm gelungen war, den Chip im Westen zu klauen. Irgendwie war der Pintus verstrickt in diese Operation. Na ja, der Name ist selten, kaufen Sie sich doch so eine Telefonnummern-CD.«
»Danke für den Tipp, mache ich.«
»Der Letzte, der mir einfällt, ist Adam oder Adams, Vorname Karl, da bin ich mir sicher. Der hat in Wismar gearbeitet, Schifffahrt, war Ingenieur. Den wollten wir in einem Diplomatenauto rüberschaffen, aber leider hat der Diplomat bei uns abkassiert und die Ware bei der Staatssicherheit abgeliefert, bestimmt nicht umsonst.«
»Wer war in dem Fall als Kurier drüben?«
Pawelczyk schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Zacki.«
»Und Zakowski ist wieder davongekommen.«
»Ja, das ist er.« Stachelmann hörte Pawelczyk schnaufen. Dann sagte der: »Scheiße, aber ich glaub es nicht. Der hatte halt Glück.«
»Gewiss«, sagte Stachelmann. »Manche haben immer Glück.« Er dachte: Ich gehöre nicht dazu.
Er verabschiedete sich von Pawelczyk und setzte sich aufs Sofa im Wohnzimmer. Rasch schrieb er sich die wichtigsten Auskünfte auf. Morgen würde er sich eine TelefonnummernCD kaufen und schauen, ob er wenigstens Pintus fand. So oft konnte es den Namen nicht geben. Er versuchte, sich so hinzusetzen, dass die Schmerzen in den Hüftgelenken und im Rükken nicht stärker wurden. Dann klingelte das Telefon. Ossi rief an.
»Ich habe mit dem Kollegen Burg gesprochen. Der sagte, an der Auflage sei nicht zu rütteln. Aber sie hätten nicht genug Beamte, um das zu überwachen, und sie glaubten auch nicht, du würdest abhauen, weil es ja so was wie ein Schuldeingeständnis wäre.«
»Das heißt, ich kann reisen, wohin ich will.«
»Das heißt, wenn du in eine Polizeikontrolle gerätst, bist du angeschmiert. Wenn nicht, ist es okay. Du solltest aber wenigstens auf dem Handy erreichbar sein. Falls die noch eine Frage haben.«
»Die haben meine Handy-Nummer doch gar nicht.«
»Doch, jetzt schon.«
»Wie hast du das hingekriegt?«
»Die Kurzfassung der Erklärung lautet: Ich habe meinen Kopf verpfändet.«
»Das ist ein guter Verwendungszweck.«
»Nun werd nicht frech«, sagte Ossi. »Und denk dran, ich habe nur einen Kopf. Und vor allem, da draußen wartet ein Mörder auf dich. Wer einen umgebracht hat, scheut nicht zurück vor dem zweiten Mord. Jeder von denen, die du aufstöberst, kann es sein, auch die Oma mit dem Krückstock.«
»Mit dem sie mich dann erschlägt.«
***
»Mensch, das ist ja schau«, sagte Dreilich, als Griesbach das Arbeitszimmer betrat.
»Ich weiß nicht, ob das schau ist«, sagte Griesbach.
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